Arzneimittel und Therapie

Vitamin E: Mehr als nur ein Antioxidans

Die präventive Wirksamkeit von Vitamin E in seiner natürlichen Form (Alpha-Tocopherol) auf die koronare Herzkrankheit erschöpft sich keineswegs in der antioxidativen Wirkung. Vielmehr hemmt Vitamin E darüber hinaus die Thrombozytenaggregation, und es hat außerdem antiproliferative Effekte. Es wirkt somit über verschiedene Mechanismen und auf verschiedenen Ebenen der Arteriosklerose entgegen.

Erste Belege dafür, daß Vitamin E Wirkungen über die Antioxidation hinaus vermittelt, lieferten Befunde beim cholesteringefütterten Kaninchen, bei dem die Entwicklung der Arteriosklerose zwar durch Vitamin E, nicht aber durch andere Antioxidantien, wie Probucol, gehemmt werden kann. Die weiteren Analysen ergaben, daß Vitamin E als Radikalfänger fungiert und gleichzeitig die Oxidation von LDL unterbindet, also dessen Atherogenität deutlich mindert. Damit hemmt Vitamin E die frühen Schritte bei der Arteriosklerose-Entstehung.

Antikoagulation und Hemmung der Zellproliferation Die weiteren Untersuchungen lieferten neue Erkenntnisse: Dazu gehört auch die Beobachtung, daß Alpha-Tocopherol als Antikoagulans fungiert, ähnlich wie es von der Acetylsalicylsäure bekannt ist. Eine dritte Wirkkomponente kommt hinzu: So hemmt Alpha-Tocopherol die Zellproliferation. Dieser Effekt aber tritt weder bei Beta-Tocopherol auf noch bei dem razemischen Gemisch der verschiedenen Vitamin-E-Formen. Vermittelt werden die protektiven Effekte über die Signaltransduktionskette, wobei Vitamin E die ProteinkinaseC hemmt, welche ihrerseits eine zentrale Rolle bei der Signalübertragung in der Zelle spielt. Sie bewirkt im Nukleus die Expression von Stimuli der Zellproliferation, ein Prozeß, der durch Alpha-Tocopherol unterbunden wird. Damit unterbleibt das Zellwachstum, was wahrscheinlich auch die protektiven Effekte des Vitamins bei der Krebsentstehung erklärt. Da die ProteinkinaseC darüber hinaus maßgeblich für Alterungsprozesse verantwortlich ist, kann bei regelmäßiger Einnahme durchaus auch ein günstiger Effekt auf die Hautalterung und generell die Organalterung erwartet werden.

Vitamin E hemmt die Oxidation von LDL Bei der kardiovaskulären Prävention ist vor allem die Hemmung der Oxidation von LDL wichtig, denn oxidiertes LDL spielt bei der Entstehung arteriosklerotischer Plaques eine Schlüsselrolle. Es initiiert den krankhaften Prozeß und unterhält ihn im Zusammenspiel mit anderen Risikofaktoren. Umso bedeutsamer ist es, die LDL-Oxidation zu unterbinden und damit die Umwandlung von Monozyten zu Makrophagen und die Ausbildung von Schaumzellenzu verhindern, die ihrerseits für die Bildung der "Fatty Streaks" und schließlich der manifesten arteriosklerotischen Plaques verantwortlich sind. Oxidiertes LDL hemmt unter anderem die Freisetzung von Stickstoffmonoxid (NO) und führt dadurch zur Vasokonstriktion. Es wirkt zelltoxisch, induziert die Expression von Adhäsionsmolekülen, hemmt die Zellmigration und bewirkt eine Induktion der Apoptose, also des programmierten Zelltodes. All diesen Effekten wirken Antioxidantien wie Vitamin E, welches die Oxidationsresistenz von LDL deutlich erhöht, entgegen. Erste klinische Studien belegen, daß daraus klinische Vorteile für die Patienten resultieren. So zeigte die CHAOS-Studie (Cambridge Heart Antioxidant Study), bei der bei 2002 Patienten mit koronarer Herzkrankheit die Effekte von Vitamin E und Plazebo verglichen wurden, gute Ergebnisse: Unter der Einnahme von 400 bis 800 I.E. RRR-alpha-Tocopherol täglich hatten 77% weniger Patienten einen nicht tödlichen Herzinfarkt erlitten als unter Plazebo. Derzeit ist Vitamin E zumindest bei Hochrisikopatienten, wie Diabetikern, anzuraten, um die Gefahr kardiovaskulärer Komplikationen möglichst abzuwenden.

Gefäßschutz bei langfristiger Einnahme Dabei sollte Vitamin E immer langfristig eingenommen werden, denn der präventive Effekt kommt kaum zum Tragen, wenn die Einnahme von Vitamin E nach kurzer Zeit schon wieder beendet wird. Die Patienten sollten außerdem darauf hingewiesen werden, daß eine optimale Wirkung nur beim natürlichen Alpha-Tocopherol zu erwarten ist und daß diese in der Prävention liegt. So dürften die Patienten sich durch die Tabletteneinnahme kaum besser fühlen, eine Besserung des Befindens ist nicht zu erwarten. Vielmehr geht es um den Gefäßschutz, den man in aller Regel subjektiv nicht bemerkt. Die Patienten müssen aber auch darauf hingewiesen werden, daß die Vitamin-E-Supplementierung keineswegs eine Alternative zu den etablierten Therapien darstellt. So ist ganz unabhängig von dieser Maßnahme weiter auf eine gesündere Lebensweise zu drängen, und auch die Risikofaktoren, wie Hypertonie oder Hypercholesterinämie, müssen unverändert weiter behandelt werden. Derzeit wird die Einnahme von 200 bis 400I.E. Vitamin E täglich empfohlen, und zwar mindestens über zwei Jahre. Unerwünschte Nebenwirkungen sind unter einem solchen Regime nicht beschrieben.

Struktur und Nomenklatur von Vitamin E Vitamin E ist ein Sammelbegriff für vier in der Natur vorkommende Tocopherole und vier Tocotrienole. Tocotrienole unterscheiden sich von Tocopherolen durch eine dreifach ungesättigte Phytyl-Gruppe am Chromanolring. Die vier Formen der Tocopherole bzw. Tocotrienole werden nach der Zahl ihrer Methylgruppen als a-, b-, g- oder d-Tocopherol bzw. Tocotrienol bezeichnet. Tocopherole können aufgrund ihrer Struktur (3 Chiralitätszentren) in acht Stereoisomeren vorliegen. a-Tocopherol verfügt über die höchste biologische Wirksamkeit. Vollsynthetisches a-Tocopherol ist ein Racemat (all-rac-a-Tocopherol, Synonym: DL-a-Tocopherol), d.h. es enthält alle acht möglichen Stereoisomere in äquivalenten Mengen. Demgegenüber kommt a-Tocopherol in der Natur in einer einzigen stereoisomeren Form vor, dem RRR-a-Tocopherol (Synonym: D-a-Tocopherol). Dieses besitzt die höchste biologische Wirksamkeit aller a-Tocopherol-Stereoisomere.

Vitamin-E-Bedarf und Dosierung Nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung sollte die tägliche Vitamin-E-Aufnahme bei 12 mg/Tag liegen; die amerikanische RDA (recommended dietary allowance) beträgt 10 mg/Tag. In klinischen Studien zur Prävention der koronaren Herzkrankheit liegen die eingesetzten Vitamin-E-Dosen erheblich über diesen Werten.

Quelle Prof. Dr. Angelo Azzi, Bern, Priv.-Doz. Dr.Joachim Thiery, München, Prof. Dr.Diethelm Tschöpe, Düsseldorf, Prof. Dr.Henning Schröder, Halle, Prof. Dr.Gisela Fischer, Hannover, Pressezirkel "Vitamin E als präventiv-medizinisches Antioxidans. Von der physiologischen Wirkung zum präventiven Bedarf". Königswinter, 28.April 1998, veranstaltet von Bayer Vital, Köln.

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