Kommentar

AvP-Vergleich: pragmatische Idee mit offenen Fragen

Süsel - 06.06.2023, 09:15 Uhr

Im Sozialrecht sind die Pflichten der Apotheken penibel festgelegt, aber bei den Rechten fehlt sogar das Gröbste, meint DAZ-Redakteur Thomas Müller-Bohn. (Foto: IMAGO / Wirestock)

Im Sozialrecht sind die Pflichten der Apotheken penibel festgelegt, aber bei den Rechten fehlt sogar das Gröbste, meint DAZ-Redakteur Thomas Müller-Bohn. (Foto: IMAGO / Wirestock)


In das Insolvenzverfahren des Rechenzentrums AvP kommt durch einen möglichen Vergleich Bewegung. Für den Vergleich gibt es durchaus Argumente, aber politisch erscheint es als Armutszeugnis, dass ein solcher Vergleich überhaupt im Raum steht, meint DAZ-Redakteur Thomas Müller-Bohn. Zudem mahnt er, die Entscheidung sollte letztlich von der Höhe der gebotenen Vergleichszahlung abhängen. Denn ein Geschäft ist nur gut, wenn die Zahlen passen.

Als im Herbst 2020 die Insolvenz des Rechenzentrums AvP bekannt wurde, waren viele Betroffene überzeugt, die Abrechnungsgelder der Krankenkassen stünden in einem solchen Fall unter einem besonderen Schutz. Doch die Abtretung der Forderungen und die Vermischung der Abrechnungsgelder mit den Mitteln des Rechenzentrums machen es kompliziert. Für Betrachter aus dem „normalen“ Wirtschaftsleben ohne Blick für sozialrechtliche Belange sind die Apotheker nur irgendwelche Gläubiger wie andere auch. In diesem Spannungsfeld wurden die möglichen Aussonderungssonderungsrechte zum Schlüssel für die Verteilung des verbliebenen Geldes.

Diese strittigen Rechte sollten in Musterprozessen geklärt werden. Mittlerweile zeichnet sich ab, dass dies Jahre dauern würde und der Ausgang offen wäre. Darum steht jetzt ein möglicher Vergleich im Raum. Dabei sollen die betroffenen Apotheken im Gegenzug für eine Vergleichszahlung auf ihre strittigen Rechte verzichten. Dann wäre der Weg frei, um das vorhandene Geld relativ schnell gleichmäßig auf alle Gläubiger aufzuteilen – sofern genügend betroffene Apotheken zustimmen. Der Zeitgewinn wäre auch im Interesse der Apotheken. Darum ist der Vergleich durchaus eine pragmatische Idee.

Politisches Armutszeugnis

Allerdings hat die Idee einen sehr bitteren Beigeschmack. Denn politisch ist es ein Armutszeugnis für das System, dass ein solcher Vergleich überhaupt im Raum steht. Im Sozialrecht gibt es zwar unzählige Vorschriften, die die Arbeit der Apotheken bis ins Detail regeln, aber es gibt offenbar keinen eindeutigen Vorrang für Abrechnungsgelder, der diese sicher schützt und entgegenstehende Vereinbarungen nichtig werden ließe. Alle Pflichten der Apotheken sind penibel festgelegt, aber bei den Rechten fehlt sogar das Gröbste. Diese Erkenntnis sollte den Gesetzgeber bewegen, tätig zu werden, um künftig für mehr Abrechnungssicherheit zu sorgen.

Vergleichsbetrag bleibt entscheidend

Neben dem politischen Unbehagen gibt es aber im Fall AvP auch noch offene Fragen zum Vergleich selbst. Die Betroffenen richten derzeit ihr Augenmerk wohl hauptsächlich auf die vage in Aussicht gestellte mögliche Zahlung von 40 bis 50 Prozent der ausstehenden Gelder. Doch diese Aussicht darf den Blick auf den anstehenden Vergleich nicht vernebeln. Denn im Vergleich geht es um eine andere Frage: Sind die Apotheken bereit, für die Vergleichszahlung auf ihre strittigen Aussonderungsrechte zu verzichten? Bisher haben die Apotheken für ihre Sonderstellung gekämpft und sich gerade nicht mit den anderen Gläubigern auf eine Stufe gestellt. Die Insolvenzquote ist den Apotheken sicher, auch wenn das noch sehr lange dauern kann. Die Betroffenen müssen nun aber beantworten, ob die Vergleichszahlung plus der erwartbare Zeitvorteil es wert sind, auf die möglichen Vorrechte gegenüber den „normalen“ Gläubigern zu verzichten.

Eine unbekannte Größe dabei ist die Erfolgsaussicht bei den Gerichtsverfahren, die mit dem Vergleich beendet werden sollen. Gemeint sind dabei nur die Prozesse um Aussonderungsrechte. Die Verfahren zur Mehrung der Insolvenzmasse – beispielsweise gegen Banken – sind ein anderes Thema. Die wichtigste unbekannte Größe ist aber die Höhe der Vergleichszahlung. Das wird der entscheidende Punkt. Ein Vergleich kann durchaus sinnvoll sein, aber er ist letztlich ein Geschäft – und das ist nur gut, wenn die Zahlen passen. Spätestens im Juli sollen die Details des Vergleichs bekannt gegeben werden. Wir dürfen gespannt sein.


Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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3 Kommentare

NICHT zustimmen

von Stefan Heider am 06.06.2023 um 18:47 Uhr

Wer diesem Quatsch zustimmt, der gibt auf. Er gibt auf vor dem Insolvenzverwalter , vor den Rechtsvorschriften und vor sich selbst !!!
Ich werde nicht zustimmen , egal wie hoch die Quote sein wird , weil ich in 5 Jahren alles wiederkriege und mich dann um so mehr freue !

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.

von Anita Peter am 06.06.2023 um 11:00 Uhr

3 Dinge gilt es noch zu beachten:

1. Aktuell kann man Geld am Rentenmarkt wieder zu ca.4% investieren. Auch im guten Rating Bereich. Angenommen die ersten Urteil fallen erst in 7 Jahren -> mit Zinsenzinsfaktor erhält man in 7 Jahren 31,5% Rendite.
2. Welche Anwaltskosten kommen auf einen persönlich in 7 Jahren zu zu?
3. Wieviel Geld kostet die Insolvenzverwaltung p.a.? D.h. wieviel Geld wird in den nächsten Jahren durch Hinauszögern verbrannt?

Jeder muss selber für sich entscheiden welche Risiken er eingehen will. Eine klassische Spatz / Taube Entscheidung. Eine Kollegin mit knapp 400 TEUR Ausständen wird dem Vergleich zustimmen, weil sie auch mental den Deckel drauf machen will.

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Durchhalten!

von Dr. Radman am 06.06.2023 um 9:48 Uhr

"Die Insolvenzquote ist den Apotheken sicher, auch wenn das noch sehr lange dauern kann".
So sehe ich das auch. Es gibt keinen Grund auf die Aussonderungsrechte zu verzichten. Es kommt nicht mehr dauf an, ob ich die Quote in diesem Jahr oder in den nächsten 2 Jahren erhalte.

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