Achtung Überdosierung

Wechseln mit Vorsicht: Sicher von Digitoxin zu Digoxin

Stuttgart - 27.01.2023, 15:00 Uhr

Digitoxin und Digoxin gehören beide zu den Digitalisglykosiden, ihre Pharmakokinetik ist jedoch unterschiedlich. Daher gibt es beim Wechsel einige Stolpersteine. (Foto: Thomas / Adobe Stock)

Digitoxin und Digoxin gehören beide zu den Digitalisglykosiden, ihre Pharmakokinetik ist jedoch unterschiedlich. Daher gibt es beim Wechsel einige Stolpersteine. (Foto: Thomas / Adobe Stock)


Die letzten Restbestände sind aufgebraucht und die zweiwöchige Auswaschphase ist abgewartet: Patient:innen, die von Digitoxin auf ein anderes Digitalisglykosid umgestellt werden, dürften in diesen Tagen bereits Verschreibungen über Digoxin, Metildigoxin oder Beta-Acetyldigoxin erhalten haben. Angesichts der engen therapeutischen Breite von Digitalisglykosiden, sollten gerade Risikopatient:innen über Anzeichen einer Überdosierung aufgeklärt werden. Auch in der Selbstmedikation gibt es einiges zu beachten.

Digitoxin kommt, wenn auch nicht als Mittel der ersten Wahl, in der Therapie der fortgeschrittenen Herzinsuffizienz mit reduzierter linksventrikulärer Funktion und bei Vorhofflimmern zum Einsatz. Bereits seit Anfang September sind Digitoxin-Präparate nur noch schwer zu bekommen. Ist das Absetzen keine Option, kann eine Umstellung auf eine anderes Digitalisglykosid, wie Digoxin, Metildigoxin oder Beta-Acetyldigoxin, erwogen werden. Letztere beide werden, zumindest teilweise, im Körper zu Digoxin metabolisiert, sodass sich alle drei Substanzen eine pharmakokinetisch Eigenschaft teilen: im Gegensatz zu Digitoxin wird Digoxin vorwiegend (80 %) renal eliminiert. Ungünstig bei einem Präparat, das hauptsächlich bei älteren Menschen und somit in einem Patientenkollektiv mit nachlassender Nierenfunktion eingesetzt wird. Da alle Digitalisglykoside eine enge therapeutische Breite haben, sollten Apothekenteams Symptome und Risikogruppen für eine Überdosierung im Kopf haben, um betroffene Patient:innen entsprechend beraten zu können.

Erst letzte Woche ist Frau B. nach einer zweiwöchigen Auswaschphase von Digitoxin auf Beta-Acetyldigoxin umgestellt worden. Heute hat sie ihren Ehemann in die Apotheke geschickt, um ihr eine Packung Loperamid zu besorgen. Sie vermutet, etwas Falsches gegessen zu haben. Das Apothekenpersonal hat jedoch einen anderen Verdacht, denn gastrointestinale Beschwerden wie Durchfall können auch auf eine Überdosierung von Digitalisglykosiden hindeuten. Auf Rückfrage gibt Herr B. auch an, seine Frau hätte sich beklagt „irgendwie komisch zu sehen“, dies aber auf den Flüssigkeitsverlust zurückgeführt. In der Apotheke erhält Herr B. den Rat, mit seiner Frau rasch den Arzt aufzusuchen.

Symptome einer Digitalisglykosid-Überdosierung

„Bei Überdosierung können, individuell verschieden, die allgemein von Digitalisglykosiden bekannten kardialen, gastrointestinalen und zentralnervösen Nebenwirkungen auftreten. Eine typische Reihenfolge des Auftretens der Symptome gibt es nicht“ ist in der Fachinfo von Lenoxin® (Wirkstoff Digoxin, Stand September 2019) zu lesen. Zu den möglichen kardialen Symptomen zählen Herzrhythmusstörungen. Im Bereich des Gastrointestinaltrakts können Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Bauchschmerzen auftreten, wobei insbesondere Übelkeit „als frühes Zeichen einer übermäßig hohen Dosierung angesehen werden“ sollte. Das ZNS betreffende Nebenwirkungen sind beispielsweise Kopfschmerzen, Schwindel, Müdigkeit, Verwirrtheit und eine Veränderung des Farbsehens (Gelb-/Grünsehen).

Vorsicht bei Risikogruppen und bei der Selbstmedikation

Für alle Patient:innen gilt: nach der letzten Digitoxin-Tablette sollte eine zweiwöchige Digitalisglykosidpause erfolgen. Diese ist aufgrund der langen Halbwertszeit (circa 7 Tage) des Wirkstoffes Digitoxin erforderlich. 

Besonders gefährdet für eine Überdosierung sind geriatrische Patient:innen und Menschen mit einer eingeschränkten Nierenfunktion. Sie sollten eine reduzierte Dosis erhalten. Ebenfalls gefährdet sind Frauen und Patient:innen mit einem geringen Körpergewicht, heißt es in der Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie „Lieferengpass Digitoxin“. Aber auch Patient:innen mit einer Schilddrüsenunterfunktion und solche mit einer Elektrolytstörungen (Achtung bei Durchfall, Erbrechen sowie Exsikkose) geraten schneller in den Bereich der Überdosierung.

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Läuft der Umstieg von Digitoxin glatt, wäre es umso ärgerlicher, würde der Wirkspiegel ausgerechnet durch eine missglückte Selbstmedikation durcheinandergebracht werden. Vorsicht geboten ist insbesondere bei Präparaten, die einen Einfluss auf das Elektrolytgleichgewicht haben. Calcium darf unter Digitalisglykosidtherapie laut Fachinfo keinesfalls i.v. angewendet werden. Eine orale Supplementierung erscheint vor diesem Hintergrund ebenfalls nicht unkritisch. Gleiches gilt für die Einnahme von Vitamin D3, die ebenfalls den Calciumspiegel erhöht. Im Hinterkopf behalten werden sollten auch Laxanzien, die gerade bei übermäßigem Gebrauch ebenfalls den Elektrolytspiegel verschieben und dann zu Verstärkung der Glykosidtoxizität führen können.


Gesa Gnegel, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (gg)
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Erste Lieferungen

von Tilaro am 29.01.2023 um 18:49 Uhr

Inzwischen sind die ersten Packungen Digitoxin von AWD ausgeliefert worden...

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