DAZ-Adventsrätsel – Tag 5

Ionenlotto auch auf der Straße: Salz oder freie Base?

Stuttgart - 05.12.2022, 06:59 Uhr

Rauchende Erlenmeyerkolben beim Kochen der Analysen waren im Grundstudium an der Tagesordnung. (Foto: raland / AdobeStock)

Rauchende Erlenmeyerkolben beim Kochen der Analysen waren im Grundstudium an der Tagesordnung. (Foto: raland / AdobeStock)


Kaum steckt man im Berufsalltag, wird das Studium rückwirkend verklärt und das Labor sehnsüchtig vermisst. Doch dank Identitätsprüfungen und High-Tech-Pannen kehren auch in der Offizin Erinnerungen lebendig zurück – auch an das Ionenlotto.

Kennen Sie das? Donnerstagabend und der Hautarzt von nebenan benötigt noch kurz das hochdosierte Anästhesie-Gel mit allerlei Lokalanästhetika, natürlich am besten sofort. Also bestellen wir noch schnell Tetracain als freie Base, und am nächsten Morgen geht es ran an die Arbeit. Die Identitätsprüfung ist dank Nahinfrarot-Spektroskopie ein Kinderspiel – so zumindest der Plan. Wäre da nicht auf dem Gerät die Anzeige aufgeploppt, dass das Spektrum nicht mit der freien Base übereinstimmt, sondern Tetracain-Hydrochlorid nachweist ...

Die Dinge nehmen ihren Lauf: Man telefoniert mit dem Hersteller. Dieser schließt aufgrund GMP-gerechter Herstellung eine Verwechslung bei der Abfüllung gänzlich aus und schiebt die Schuld auf einen Datenbank-Fehler des NIR. Diese weisen wiederum die Schuld von sich und sind bei erneutem Anruf Freitagnachmittag nicht mehr erreichbar. In der Zwischenzeit bestellen wir vom Konkurrenz-Hersteller noch einmal Substanz. Das Dilemma wiederholt sich: Erneut meckert das NIR. Dass zwei unterschiedliche Hersteller gleichzeitig bei zwei unterschiedlichen Chargen den gleichen Ettikettierfehler machen, erscheint dann doch sehr unwahrscheinlich und ein Datenbankfehler plausibler. Also lieber auf die Technik pfeifen und stattdessen noch einmal nachdenken? Na klar, Halogenid-Nachweis wie früher im Studium und das Chlorid mittels Silbernitrat-Lösung fällen! Wie war das noch? Nur AgCl ist in verdünnter Ammoniak-Lösung löslich, nicht jedoch AgI oder AgBr. Euphorie macht sich breit.

Farbnachweise und rauchende Erlenmeyerkolben

Was haben wir damals im Grundstudium geflucht. Erschien es doch teilweise willkürlich, ob Nachweisreaktionen funktionierten oder nicht, ... da rauchten Erlenmeyerkolben, kochten Analysen und Farbnachweise fielen irgendwie gar nicht so eindeutig aus, wie in der Literatur beschrieben. Ein Blick in den Kommentar des Ph. Eur. darf nicht fehlen, und schon fühlt man sich glatt wieder wie ein Student: „In vielen Arzneistoff-Monographien ist vorgesehen, zusätzlich zur IR-Spektroskopie Prüfungen wie den Nachweis des Anions in Hydrochloriden mittels Silbernitratzugabe durchzuführen. Hintergrund ist die Tatsache, dass Chlorid-Ionen nicht IR-aktiv sind und nicht ohne Weiteres beurteilt werden kann, ob ein anderes Salz desselben Wirkstoffmoleküls ein nicht identisches Spektrum ergäbe. Das ist sehr wahrscheinlich, weil unterschiedliche Salze eines Wirkstoffs unterschiedliche Kristalle bilden und damit abweichende Anordnungen der Moleküle ergeben; resultierende Schwingungsspektren unterschiedlicher Salze mit nicht direkt detektierbaren Anionen würden somit zu unterscheidbaren Spektren führen.“

Ein detektivischer Blick fällt auf den Schmelzpunkt. Tatsächlich: Während Tetracain-Hydrochlorid bei etwa 147°C schmilzt, liegt der Schmelzpunkt der freien Base mit 41 bis 46° C deutlich darunter. So ist es wirklich nicht schwer, die Identität des Tetracains als freie Base zweifelsfrei zu bestätigen.

Frage:

Welche Personen könnten sich ebenfalls für die Unterschiede zwischen der freien Base und dem Wirkstoff-Hydrochlorid interessieren und jonglieren dafür mit Backpulver und Ascorbinsäure?

Die Antwort lautet:

Der Cocain-Konsument. Auf dem Schwarzmarkt wird Cocain-Hydrochlorid als Koks gehandelt und meist geschnupft. Wird Cocain-Hydrochlorid gemeinsam mit etwas Wasser und Natriumhydrogencarbonat oder Ammoniak erhitzt, entsteht die freie Base. Sie wird Crack genannt, denn der weißlich, gelblich oder rosa aussehende Feststoff, der dabei entsteht, ist nicht wasserlöslich und verdampft unter charakteristischem Knacken bei 96°C. Er wird in einer Pfeife oder auf Folie mit einem Röhrchen geraucht. Mit Ascorbinsäure und Wasser bereiten Konsumenten Crack zum intravenösen Konsum auf.


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