Bundesverfassungsgericht

AfD-Bundestagsfraktion muss weiterhin ohne Ausschussvorsitz leben

Berlin - 23.06.2022, 13:45 Uhr

Jörg Schneider von der AfD wird auch weiterhin nicht den Vorsitz im Bundestags-Gesundheitsausschuss bekleiden. (c / Foto: IMAGO / Christian Spicker) 

Jörg Schneider von der AfD wird auch weiterhin nicht den Vorsitz im Bundestags-Gesundheitsausschuss bekleiden. (c / Foto: IMAGO / Christian Spicker) 


Die AfD-Bundestagsfraktion wollte eigentlich in drei Bundestagsausschüssen den Vorsitz übernehmen – auch in dem für Gesundheit. Allerdings erreichte sie bei den Wahlen nicht die erforderlichen Mehrheiten. Nun ist die Fraktion mit ihrem beim Bundesverfassungsgericht gestellten Eilantrag, ihr die Vorsitze jedenfalls einstweilen zuzugestehen, gescheitert.

Nach der letzten Bundestagswahl im vergangenen Herbst konnten sich die im Bundestag vertretenen Fraktionen im Ältestenrat nicht auf die Verteilung der Ausschussvorsitze verständigen. Die Folge: Die Posten wurden unter den Fraktionen im sogenannten Zugriffsverfahren verteilt. Die AfD-Fraktion griff dabei auf die Vorsitze der Ausschüsse für Inneres und Heimat, Gesundheit sowie für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu.

Mitte Dezember 2021 fanden die konstituierenden Sitzungen dieser Ausschüsse statt. Die AfD benannte jeweils einen Kandidaten für den Vorsitz: Jörg Schneider für die Gesundheit, Martin Hess für den Innenausschuss und Dietmar Friedhoff für die Entwicklungszusammenarbeit. Entgegen dem üblichen Verfahren hatte man beschlossen, in geheimer Wahl über den Vorsitz zu entscheiden. Keiner der Kandidaten konnte die erforderliche Stimmenmehrheit erreichen. Mitte Januar dieses Jahres gab es einen zweiten Wahl-Anlauf – mit dem gleichen Ergebnis. Aktuell werden die Ausschüsse von den stellvertretenden Vorsitzenden geleitet. Im Gesundheitsausschuss ist dies Kirsten Kappert-Gonther (Grüne).

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Die AfD will dies nicht hinnehmen. Sie hat daher eine Organklage vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht. Da ein solches Verfahren seine Zeit beansprucht, hat die Fraktion zugleich ein Eilverfahren angestrengt. Per Einstweiliger Anordnung wollte sie erreichen, dass die von ihr benannten Kandidaten vorläufig als Ausschussvorsitzende eingesetzt werden – bis in der Hauptsache entschieden ist. Die AfD-Fraktion sieht sich durch die „Veranstaltung einer ungebundenen Mehrheitswahl“ zur Besetzung der ihr zustehenden Ausschussvorsitze in ihren Rechten auf Gleichbehandlung und auf faire und loyale Anwendung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages sowie in einem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Recht auf effektive Opposition verletzt.

Doch diese begehrte einstweilige Anordnung hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts der AfD-Fraktion versagt. Zwar halten die Karlsruher Richter:innen den Antrag in der Hauptsache weder für von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Insbesondere scheine es nicht schon von vornherein ganz ausgeschlossen, dass die organschaftlichen Rechte (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt wurden.


Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. 

Artikel 38 Grundgesetz Abs. 1


Das Recht auf gleichberechtigte Mitwirkung der Abgeordneten beziehungsweise ihrer Zusammenschlüsse könnte auch den Zugang zu einem Leitungsamt wie dem Ausschussvorsitz erfassen, heißt es in einer Mitteilung des Bundesverfassungsgerichts zum heute veröffentlichten Beschluss. Laut Geschäftsordnung des Bundestags (§ 12 GO-BT) ist die Regelung des Vorsitzes in den Ausschüssen im Verhältnis der Stärke der einzelnen Fraktionen vorzunehmen – demnach stünden der antragstellenden Fraktion drei Vorsitzendenpositionen grundsätzlich zu.

Das Hauptsacheverfahren muss es klären

Doch die Details will der Senat im Hauptsacheverfahren klären. Lässt die Geschäftsordnung des Bundestages, wonach die Ausschüsse ihre Vorsitzenden bestimmen, eine freie Wahl der Ausschussvorsitze zu? Beeinträchtigt dies Rechtspositionen der AfD-Fraktion?

Da der Ausgang in der Hauptsache letztlich offen ist, mussten die Richter:innen im Eilverfahren eine Folgenabwägung vornehmen. Diese führte im Ergebnis zur Ablehnung des Antrags. Der Senat hält es für weniger kritisch, wenn die Posten zunächst vakant bleiben, die AfD sich im Hauptsacheverfahren aber durchsetzt. Es sei nicht ersichtlich, dass die Fraktion durch die einstweilige Vorenthaltung der Ausschussvorsitze daran gehindert wäre, an der politisch-parlamentarischen Willensbildung im engeren Sinn in den betroffenen Ausschüssen mitzuwirken. Mit dem Amt des Ausschussvorsitzenden seien nämlich vor allem Geschäftsleitungs- und Organisationsbefugnisse verbunden. Der Senat findet, dass die Fraktion auch ohne diese zusätzlichen Befugnisse ihre Mitwirkungsrechte wahrnehmen könne. Auch eigenständige parlamentarische Kontrollrechte seien mit dem Ausschussvorsitz nicht verbunden.

Erginge hingegen die einstweilige Anordnung und erwiese sich die Nichtwahl der AfD-Kandidaten sodann aber als verfassungsgemäß, würden die drei betroffenen Ausschüsse bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens jeweils von einer Person geleitet, die das Vertrauen der Ausschussmehrheit offensichtlich nicht besitzt. Das wiegt aus Sicht der Richter:innen schwerer: „Das könnte die Arbeitsfähigkeit dieser Ausschüsse gefährden, weil das fehlende Vertrauen des jeweiligen Ausschusses in den Vorsitz eine erhebliche Einschränkung der Ausschussarbeit zur Folge haben kann, nicht zuletzt durch die sich aus der Geschäftsordnung ergebenden Möglichkeiten der Ausschussmehrheit, Leitungshandlungen des Vorsitzenden zu konterkarieren“. Es sei nicht auszuschließen, dass sich dies auch auf die Funktionsfähigkeit des Bundestages insgesamt auswirken könne. Schließlich leisten die Ausschüsse „unverzichtbare Vorarbeit für das Plenum“.

Nicht zuletzt greife es schwerwiegend in die grundgesetzlich garantierte Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages ein, wenn nun das Bundesverfassungsgericht die Vorsitzenden vorläufig einsetze. Dazu sehen sich die Verfassungsrichter:innen im Eilverfahren nur unter sehr strengen Voraussetzungen befugt.

Damit bleibt erst einmal alles wie gehabt. Wann in der Hauptsache entschieden wird, ist allerdings ungewiss. Dieses Jahr, nächstes Jahr, überhaupt in dieser Legislaturperiode? Ein Sprecher des Bundesverfassungsgerichts erklärte hierzu auf Nachfrage: „Es lässt sich derzeit nicht mit der erforderlichen Sicherheit absehen, wann im Hauptsacheverfahren mit einer Entscheidung zu rechnen ist“.

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Mai 2022, Az.: 2 BvE 10/21


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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