Schulkinder

Kinder mit Corona: Bauchschmerzen – Hinweis auf schwere Verläufe?

Stuttgart - 20.01.2022, 07:00 Uhr

Durchfall, Erbrechen, Bauchschmerzen – sollte man bei Kindern mit Magen-Darm-Beschwerden nicht nur an Noro- und Rotaviren, sondern auch an SARS-CoV-2 denken? (x / Foto: Halfpoint / AdobeStock)

Durchfall, Erbrechen, Bauchschmerzen – sollte man bei Kindern mit Magen-Darm-Beschwerden nicht nur an Noro- und Rotaviren, sondern auch an SARS-CoV-2 denken? (x / Foto: Halfpoint / AdobeStock)


Welche Faktoren und Symptome könnten Hinweise darauf liefern, welche Kinder mit COVID-19 einen schweren Verlauf entwickeln? Vor allem bei Bauchschmerzen im Schulkindalter sollten Eltern wachsam sein.

SARS-CoV-2 infiziert nicht lediglich die Atemwege. Auch im Magen-Darm-Trakt findet sich ACE2, ein wichtiger Rezeptor, über den das Virus in die menschliche Zelle gelangt. Bereits im Jahr 2020 gab es erste Hinweise, dass Kinder SARS-CoV-2 auch über den Stuhl ausscheiden, selbst dann noch, wenn ihre Nasen-Rachenabstriche bereits negativ waren. Die Arbeit wurde im Fachjournal „Nature“ veröffentlicht. 

Zudem beschreiben manche Infizierte ausschließlich gastrointestinale (GI) Symptome, was vor allem vom Alter abzuhängen scheint: Gastrointestinale Beschwerden (vgl. „Frontiers in Pediatrics“ – „SARS-CoV-2 and the Gastrointestinal Tract in Children“) treten bei Kindern häufiger auf als bei Erwachsenen – Durchfall, Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen berichtet einer Studie zufolge jedes vierte infizierte Kind („The Lancet Child & Adolescent Health“ – „COVID-19 in children and adolescents in Europe: a multinational, multicentre cohort study“).

Liegt ein Multisystemisches Entzündungssyndrom bei Kindern (MIS-C) vor – auch PIMS genannt für Paediatric inflammatory Multisystem Syndrome (siehe Infobox) –, treten Magen-Darm-Beschwerden besonders häufig auf (90 Prozent). Vor allem Durchfall kommt bei COVID-19-Kindern vor, und zwar vor allem bei Säuglingen (15 Prozent), während ältere Kinder eher über Erbrechen (10 Prozent) oder Bauchschmerzen (8 Prozent) klagen. Daten dazu gibt es aus Italien, veröffentlicht im Fachjournal „Frontiers in Pediatrics“ („Epidemiology, Clinical Features and Prognostic Factors of Pediatric SARS-CoV-2 Infection: Results From an Italian Multicenter Study“).

Was ist PIMS?

PIMS steht für „Paediatric inflammatory Multisystem Syndrome“, eine andere Bezeichnung lautet MIS-C für „Multisystem Inflammatory Syndrome in Children“ (deutsch etwa: Multisystemisches Entzündungssyndrom bei Kindern). Es handelt sich dabei um ein neues Krankheitsbild, das im Zusammenhang mit einer SARS-CoV-2-Infektion bei Kindern und Jugendlichen auftritt und Folge eines überaktivierten Immunsystems ist. Das Robert Koch-Institut (RKI) beschreibt PIMS als ein „schweres entzündliches Krankheitsbild, das in seltenen Fällen bei Kindern und Jugendlichen in der Regel drei bis vier Wochen nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 (auch asymptomatisch) beobachtet wurde“. Die Ursachen seien unklar, häufig gehe PIMS mit einer Schocksymptomatik und vorübergehender Herz-Kreislauf-Insuffizienz einher.

Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) definiert PIMS als Fieber mit erhöhten systemischen Entzündungswerten und mindestens zwei Organbeteiligungen – und: Alle Symptome stehen im Zusammenhang mit einer akuten oder stattgefundenen SARS-CoV-2-Infektion oder zumindest mit einem Kontakt zu SARS-CoV-2. Seit 27. Mai 2020 erfasst die DGPI PIMS-Fälle in Deutschland, bislang (Stand 9. Januar 2022) wurden 549 PIMS-Fälle (darunter vier aus Österreich) gemeldet. Der DGPI zufolge lautete die Aufnahmediagnose bei den meisten PIMS-Kindern anders (nicht PIMS), am häufigsten seien die Organe Haut/Schleimhäute, Herz-Kreislauf und der Gastrointestinaltrakt beteiligt gewesen. Die Mehrheit der Kinder musste intensivmedizinisch betreut werden, sie erhielten immunmodulatorische Behandlungen und viele Kinder auch eine antibiotische Therapie. Die gute Nachricht: „Das Outcome der Patienten war günstig. Folgeschäden (vor allem bezogen auf Herz-Kreislauf) wurden in weniger als 10 Prozent der Fälle bei Entlassung beobachtet“, erklärt die DGPI. Todesfälle seien nicht berichtet. Während die COVID-19-Fälle zwischen Jungen und Mädchen ausgeglichen sind, scheinen jedoch vor allem Jungen ein PIMS zu entwickeln.

Welche Faktoren sind verantwortlich für schwere Magen-Darm-Beteiligungen?

Sollte man bei Kindern mit Magen-Darm-Beschwerden folglich nicht nur an Rota- und Noroviren denken, sondern auch an SARS-CoV-2? Das legt nun eine jüngst bei „JAMA Network Open“ veröffentlichte multizentrische Kohortenstudie mit 685 italienischen Kindern nahe („Factors Associated With Severe Gastrointestinal Diagnoses in Children With SARS-CoV-2 Infection or Multisystem Inflammatory Syndrome“). Die Wissenschaftler betrachteten den Zeitraum von Februar 2020 bis Januar 2021, eingeschlossen waren unter 18-jährige ambulant oder stationär behandelte Kinder, die PCR-positiv auf das Coronavirus getestet worden waren oder bei denen PIMS (nach Kriterien der US-amerikanischen Seuchenbehörde CDC – US Centers for Disease Control and Prevention) vorlag. Die Wissenschaftler wollten durch klinische, radiologische und histopathologische Untersuchungen bei Kindern mit SARS-CoV-2 oder PIMS herausfinden, welche Faktoren mit schweren gastrointestinalen Manifestationen verbunden sind.

Blinddarmentzündungen und Pankreatitis bei Kindern mit COVID-19?

Dabei definierten die Forscher „schwere gastrointestinale Beteiligungen“ beispielsweise als akutes Abdomen (akute, starke Bauchschmerzen mit Abwehrspannung der Bauchdeckenmuskulatur und Kreislaufdekompensation), Appendizitis – kompliziert oder nicht durch Perforation und/oder Peritonitis, Darminvagination, Pankreatitis oder Flüssigkeitsansammlung im Bauchraum, die während oder innerhalb von vier bis sechs Wochen nach der SARS-CoV-2-Infektion auftraten und teils einen chirurgischen Eingriff erforderten.

Kriterien der CDC für PIMS (MIS-C)

  • Anhaltendes Fieber
  • PLUS mehr als eines der folgenden Merkmale
    • Magenschmerzen
    • Blutunterlaufene Augen
    • Durchfall
    • Schwindel oder Benommenheit (Anzeichen für niedrigen Blutdruck)
    • Hautausschlag
    • Erbrechen

„MIS-C ist eine Erkrankung, bei der sich verschiedene Körperteile entzünden können, darunter Herz, Lunge, Nieren, Gehirn, Haut, Augen oder Magen-Darm-Organe. Wir wissen noch nicht, was MIS-C verursacht. Wir wissen jedoch, dass viele Kinder mit MIS-C das Virus hatten, das COVID-19 verursacht, oder dass sie in der Nähe von Personen mit COVID-19 waren.“

Kriterien der WHO für PIMS

  • Kinder und Jugendliche im Alter bis 19 Jahren mit Fieber > 3 Tage
  • UND zwei der folgenden Punkte
    • Hautausschlag oder beidseitige nicht eitrige Konjunktivitis (Bindehautentzündung) oder Anzeichen einer Entzündung der Haut (Mund, Hände oder Füße)
    • Hypotonie oder Schock
    • Anzeichen einer myokardialen Dysfunktion, Perikarditis, Herzklappenentzündung oder koronare Anomalien
    • Anzeichen einer Koagulopathie
    • Akute gastrointestinale Probleme (Durchfall, Erbrechen oder Bauchschmerzen)
    • UND
      • Erhöhte Entzündungsmarker, zum Beispiel C-reaktives Protein (CRP) oder Procalcitonin
      • UND
        • Keine andere offensichtliche mikrobielle Ursache der Entzündung, einschließlich bakterieller Sepsis (Blutvergiftung), Staphylokokken- oder Streptokokken-Schocksyndromen
        • UND
          • Nachweis von COVID-19 (PCR, Antigentest oder Serologie positiv) oder wahrscheinlicher Kontakt mit Patienten mit COVID-19


Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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