Apothekenatmosphäre für zu Hause

Alltagsgegenstände im Apothekendesign

Wien - 17.01.2022, 07:00 Uhr

Apotheken sollen schon immer einen großen Reiz auf Menschen ausgeübt haben, meint Barbara Poenighaus-Matuella vom Weltmuseum Wien – nicht zuletzt wegen des handwerklich erstklassigen Ordnungssystems mit geheimnisvoll beschrifteten Gefäßen. (Foto: Blickfang / AdobeStock)

Apotheken sollen schon immer einen großen Reiz auf Menschen ausgeübt haben, meint Barbara Poenighaus-Matuella vom Weltmuseum Wien – nicht zuletzt wegen des handwerklich erstklassigen Ordnungssystems mit geheimnisvoll beschrifteten Gefäßen. (Foto: Blickfang / AdobeStock)


Schon auf Kinder wirken Apotheken faszinierend: der typische Geruch, die unzähligen Schubladen, das einladende Ambiente. Ob diese Erfahrungen auch zukünftige Generationen machen werden, sei mal dahingestellt. Aktuell prägen jedenfalls Fertigarzneimittel, Kommissionierautomaten und die aufkommenden E-Rezepte das Bild der Offizinen. Dennoch sehnen sich Menschen nach der ursprünglichen Apothekenatmosphäre. Und so verwundert es nicht, dass ein Markt entstanden ist, der Deko-Artikel, Möbel, Spielzeug und Schmuck anbietet. Susanne Krejsa MacManus, Autorin und Archivarin aus Wien, hat sich für uns umgeschaut.

„Manche Leute gehen in den fremden Orten immer erst in den Ratskeller, manche zur Sehenswürdigkeit – ich gehe in die Apotheke“, schrieb Kurt Tucholsky in „Lerne lachen ohne zu weinen“ (1932). Und weiter: „Hübsch, so eine Apotheke. Man fühlt sich so geborgen.“ 
Das ist wohl der Grund, weshalb stillgelegte Apotheken gerne als Kulisse für Geschäfte, Kaffeehäuser und Restaurants gewählt werden, beispielsweise in Braunschweig, Stuttgart, Berlin/Oranienplatz oder Leipzig.

Das britische Designer-Duo Sophie und Nick Coryndon produziert und vertreibt Albarelli-Tischlampen im Apothekenstil. (Foto: The Apothecary Collection / Soane Britain)

Ähnlich wie Tucholsky sieht es auch der Wiener Architekt Roland Hutter, der die ehemalige Paulaner-Apotheke zu einem feinen Geschäft für italienische Spezialitäten umgebaut hat: „Das Apothekenflair vermittelt ein Wohlgefühl, die alte Möblierung und die traditionellen gestalterischen Elemente machen die Apotheke zu einem Ort des Vertrauens.“ 

Apothekendesign für zu Hause

Diese Apothekenatmosphäre kann man sich inzwischen auch nach Hause holen, etwa mit den Albarelli-Tischlampen des britischen Designer-Duos Sophie und Nick Coryndon: Die vom Vater aus Tulpenbaumholz gedrechselten Lampenfüße werden von seiner Tochter nach Albarelli-Vorbildern aus dem 14. und 15. Jahrhundert mit floralen oder geometrischen Mustern handbemalt. Ihre aktuellen Motive zeigen Baldrian, Eisenkraut, Immergrün, Königskerze und Vetiver. Tulpenbaumholz eignet sich dafür besonders gut, da es sich extrem gut lasieren und polieren lässt. In frischem Zustand riecht es minzig-blumig.

Die vom Vater aus Tulpenbaumholz gedrechselten Lampenfüße werden von seiner Tochter nach Albarelli-Vorbildern aus dem 14. und 15. Jahrhundert mit floralen oder geometrischen Mustern handbemalt. (Foto: The Apothecary Collection / Soane Britain)

Ebenfalls aus Holz, aber vor allem wegen seiner Größe eindrucksvoll ist der zwei Meter lange Ladentisch im Vintagestil der belgischen Firma chehoma. Die Restauratorin Barbara Poenighaus-Matuella vom Weltmuseum Wien versucht eine Erklärung für die Faszination von historischen Apotheken bzw. deren Inventar zu finden: „Ich sehe von ästhetischen bis zu tiefenpsychologischen Aspekten her großen Reiz im Ordnungssystem handwerklich erstklassiger und mehr oder weniger geheimnisvoll beschrifteter Läden.“ 

Zwei Meter lang misst der Ladentisch im Vintagestil der belgischen Firma chehoma und bringt das Apothekentypische Ordnungssystem in die eigene Wohnung. (Screenshot: www.chehoma-pro.com)
Die „Apothekerwaage“ als Bausatz aus Birkensperrholz zum Selberbauen, angeboten von der Sol-Expert-Group. (Screenshot: www.sol-expert-group.de)

Wer nicht so viel Platz hat, greift vielleicht lieber zur „Apothekerwaage“, einem Bausatz aus Birkensperrholz zum Selberbauen, angeboten von der Sol-Expert-Group – die ideale Beschäftigung für kalte Wintertage. Genauso wie das gehäkelte Sofakissen in Form einer überdimensionierten Pillenkapsel („PILL-O“ von Jaylee).  
Das Angebot an Apothekenobjekten ist schier überbordend und mitunter von der wahren Apothekenatmosphäre etwas entfernt: Es gibt Schminkspiegel, Feuerzeuge, Käseschneidbretter, Zigarettenetuis, Blumentopfthermometer und Cappuccino-Schablonen – alles mit typischen Apothekensymbolen geschmückt und als „ausgefallene Geschenkideen“ gekennzeichnet.  

Apotheken im Miniaturformat

Dem wahren Vorbild viel näher kommt da die Playmobil-Apotheke fürs Kinderzimmer: „Detaillierte Apothekeneinrichtung mit Regalen, Verkaufstheke mit Monitor, verschiedenen Aufbewahrungsgläsern und Karaffen, Auslagentisch, Personenwaage, Körben und vielen weiteren Extras für alle Nachwuchsapotheker.“ 

Seit 2016 hat Playmobil eine Offizin im Sortiment. (Screenshot: www.playmobil.de)

Sie ist erst seit 2016 im Sortiment, ein später Nachzügler nach schon viel früher in die Serie aufgenommenen Ärzten, Ärztinnen, Patientinnen, Patienten und Krankenhäusern. „Pharmazeuten mit Herzblut seien allerdings gewarnt: Die Gestaltung ist etwas klischeebelastet und der Aufbau ist eine Herausforderung“, urteilte ein Kritiker.

Mehr fürs Auge und weniger zum Spielen: die vier Zentimeter große Offizin in einer Zündholzschachtel-Apotheke. (Screenshot: www.dregeno.de)

Mehr fürs Auge und weniger zum Spielen gedacht sind wohl das vier Zentimeter große/kleine Miniaturstübchen mit Apothekerin und die Zündholzschachtel-Apotheke, beides seit 1920 im Spielzeugdorf Seiffen im Erzgebirge hergestellt. Vielleicht war es das, was Kurt Tucholsky zu seinem Kommentar veranlasste: „Es ist alles so ordentlich, so schön viereckig, so abgewogen rund – so unwild.“ 

Apothekenmuster auf Alltagsgegenständen

Damit noch nicht genug: Die Vielfalt geht weiter. Alle Arten von Apothekenmustern finden sich auf Bettwäsche (Spoonflower), Stoffen, Stickvorlagen (Etsy), putzigen Ohrringen (Find-your-vibe und A-Dirty-Habit) und vielem mehr. Bei einem großen Onlineversandhändler findet man eine Vielzahl hübsch gestalteter Notizbücher mit „apothekenmäßiger“ Einbandgestaltung, von grafischen Elementen bis zu lockeren Sprüchen. 

Ebenfalls passend für kalte Wintertage sind gehäkelte Sofakissen in Form einer überdimensionierten Pille: „PILL-O“ von Jaylee. (Screenshot: www.ravelry.com)

Apotheken wecken Sehnsüchte

„Apothekendinge sind auratisch stark aufgeladen, wenn sie die verdichteten Hoffnungen der Menschheit auf Überwindung irdischer Unzulänglichkeit und den Sieg über den Tod – zur Not mit Hilfe des Teufels – transportieren“, beschreibt Museumsfrau Poenighaus-Matuella die Faszination Apotheke. Ähnlich sah es der deutsch-US-amerikanische Pharmaziehistoriker Georg Urdang (1882 – 1960): „Was da so in den Flaschen und Büchsen ruht und seiner Verwendung harrt in einer älteren Apotheke, was als nie gebrauchter Überrest einer versunkenen Zeit auf den Borden und Simsen steht, es übt einen geheimen Zauber aus, dem sich niemand entziehen kann […].“ („Der Apotheker im Spiegel der Literatur“, 1921)

Apotheken als Designinspiration

Der Apothekenstil hat auch ins Grafikdesign Einzug gehalten, wie die Designberaterin Laura Busche in ihrem „Trend Report Apothecary Style“ beschreibt. Charakteristika sind gedeckte Farben wie Amber, Sepia, blasse Grüntöne und Lavendel, also Farben, die sich auf alten Medizinflaschen finden oder von den arzneilich genutzten Pflanzen und Blüten stammen. Auch die Formen lehnen sich an die alter Arzneigefäße an. Dazu kommen Vintagedarstellungen von Pflanzen, Blumen und anderen Naturformen in Tinte und Wasserfarben. Die Schrift selbst ist von handgeschriebenen Etiketten und Aufschriften beeinflusst. Für möglichste Authentizität werden aber auch Flecken, Kratzspuren, umgeknickte oder verbrannte Ecken und Verblassungen übernommen.

Mitunter von der wahren Apothekenatmosphäre etwas entfernt sind Schminkspiegel … (Screenshot: www.deco-direct.de)
… Feuerzeuge … (Screenshot: www.deco-direct.de)
… Käseschneidbretter … (Screenshot: www.deco-direct.de)
… oder Cappuccino-Schablonen – alles mit typischen Apothekensymbolen geschmückt und als „ausgefallene Geschenkideen“ gekennzeichnet. (Screenshot: www.deco-direct.de)

Apothekensymbole und -elemente begegnen uns scheinbar überall. Tatsächlich gibt es aber noch Fehlstellen: Wer sein Kind im Apothekerkostüm zu einem Kindergeburtstag schicken will, wird zumindest online nicht fündig und muss selbst kreativ werden. Neuentdeckte Tiere oder Pflanzen werden heutzutage nach Prominenten benannt – etwa der getupfte Frosch Hyloscirtus princecharlesi nach Prinz Charles, ein Käfer nach dem Rockmusiker Roy Orbison oder eine Spinne nach seinem Musikerkollegen Neil Young – aber Apothekerinnen und Apotheker gehen leer aus. Auch hinsichtlich Statuen und Denkmälern besteht noch Luft nach oben. 

Apotheken werden beliebter

Doch vielleicht kommt das bald, denn Apothekerinnen und Apotheker holen imagemäßig auf – gerade jetzt, wie etwa eine repräsentative Umfrage in Tirol im Vorjahr gezeigt hat: Nach nur zehn Tagen im ersten Lockdown katapultierten die Österreicher die Berufsgruppe der Apotheker im Vertrauensindex auf Platz eins. Man konnte darauf vertrauen, dass sie – wie immer – offen haben und dass die Arzneimittel – wie immer – vorrätig sind.

Damit geht Restauratorin Matuella-Pönighaus konform, wenn sie sagt: „Ein tiefenpsychologisches Motiv für die Nachfrage ist vielleicht der im Apothekengeruch abrufbare frühkindliche Erinnerungswust.“ „Im Gegensatz zur Krankheitsassoziation, die mit dem Spital verbunden ist, vermittelt die Apotheke ein Gesundheitsgefühl“ sucht auch der Wiener Architekt Hutter nach einer Erklärung für die Vielzahl positiver Eindrücke, die den Markt für Apothekenutensilien und -einrichtungsgegenstände nähren. Speziell geht er auch auf den Geruch ein: „Eine Apotheke riecht schön – wiederum im Gegensatz zum Krankenhaus, dessen Geruch eher Angst macht.“ Das beschrieb auch schon Tucholsky in seiner Apothekenbetrachtung: „Es kann einem nichts geschehen, weil sie ja hier gegen alle Krankheiten und für alle Menschen ihre Mittel haben.“ 



Dr. phil. Susanne Krejsa MacManus, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Adventskalender und Geschenksets aus der Apotheke

Es wird weihnachtlich

DAZ-Adventsrätsel – Tag 11

Eine Göttin und das Feuerzeug

Von Arzneien ohne Verfallsdatum, himmlischem Personal und einer dramatischen Rabattaktion

Die wundersame Apotheke

Die Rathaus-Apotheke bietet ihren Kunden viele Geschenkideen

Wie ein Mitbringsel zum Modegetränk wurde

Salus-Medienpreise 2021 verliehen

Journalismus pro Natur

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.