Experte rät vom Freitesten mit Antigentests ab

Regierung weist Bedenken der Laborärzte bei Antigentests zurück

Stuttgart - 12.01.2022, 12:35 Uhr

Der Unterschied bei der Zuverlässigkeit zwischen Antigentests und PCR-Tests sei speziell bei asymptomatischen Corona-Infektionen „ganz erheblich“, gibt der Lübecker Labormediziner Bobrowski zu bedenken. (s / Foto: IMAGO / Michael Kristen)

Der Unterschied bei der Zuverlässigkeit zwischen Antigentests und PCR-Tests sei speziell bei asymptomatischen Corona-Infektionen „ganz erheblich“, gibt der Lübecker Labormediziner Bobrowski zu bedenken. (s / Foto: IMAGO / Michael Kristen)


Freitesten mit Antigentests – ist das eine gute Idee und überhaupt notwendig? Hinsichtlich der neuen Omikron-Variante und der Sensitivität von Antigentests gibt es zumindest bei asymptomatischen Personen jedenfalls weiterhin Zweifel. PCR-Tests sollen hier besser abschneiden. Doch die Regierung sieht gute Gründe für ihre Strategie.

Für die am vergangenen Freitag von Bund und Ländern beschlossenen neuen Vorgaben zur Quarantäne soll noch diese Woche der rechtliche Rahmen festgezurrt werden. Unter anderem sollen – wenn es so weit ist – Kontaktpersonen, die keinen vollständigen Impfschutz durch die Auffrischungsimpfung vorweisen oder weder frisch geimpft noch genesen sind, ihre Isolation bzw. Quarantäne in der Regel nach zehn Tagen beenden können. Anstoß erregt dabei derzeit, dass sie sich außerdem nach einer nachgewiesenen Infektion oder als Kontaktperson nach sieben Tagen durch einen PCR- oder zertifizierten Antigen-Schnelltest „freitesten“ (mit Nachweis) können sollen.

Um vulnerable Personen in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen der Eingliederungshilfe zu schützen, können sich Beschäftigte dort nach sieben Tagen immerhin nur durch einen obligatorischen PCR-Test mit negativem Ergebnis freitesten. Für Schülerinnen und Schüler sowie Kinder in den Angeboten der Kinderbetreuung soll die Quarantäne als Kontaktperson wiederum aber bereits nach fünf Tagen durch einen PCR- oder Antigenschnelltest beendet werden können. Der Grund: Sie sind in serielle Teststrategien eingebunden. 

Expert:innen verweisen angesichts der Pläne nun auf die Grenzen von Antigentests, und auch darauf, dass die PCR-Testkapazitäten nicht unerschöpflich sind.

Falsche Sicherheit durch Antigentests?

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat zwar bereits eine Positivliste für Corona-Antigenschnelltests auf Omikron angekündigt. Doch bisherige Erkenntnisse zeigen: Besonders bei geringerer Viruslast schlagen Antigentests, zu denen etwa Schnell- und Selbsttests gehören, oft nicht an. „Ein Freitesten nur mit Antigentest, das geht nicht“, sagt deshalb der Vorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Laborärzte, Andreas Bobrowski, der Deutschen Presse-Agentur. Er halte ein solches Freitesten für ein problematisches Signal und wendet ein: „Die Tests wären nach wenigen Tagen quasi alle negativ und man würde den Menschen eine falsche Sicherheit zeigen. Da muss man ganz zurückhaltend sein.“

Der Unterschied bei der Zuverlässigkeit zwischen Antigentests und PCR-Tests sei speziell bei asymptomatischen Corona-Infektionen „ganz erheblich“, gibt der Lübecker Labormediziner Bobrowski zu bedenken. „Das Hauptproblem, was sowohl der laborgestützte Antigentest als auch der Schnelltest hat, ist einfach die deutlich zurückgehende Sensitivität bei sinkender Viruslast.“ Das gelte auch für die Virusvariante Omikron.

Die Sensitivität ist einer von zwei Werten, die für die Zuverlässigkeit von Corona-Tests eine Rolle spielen. Während die Spezifität angibt, wie viele Nicht-Infizierte korrekt ein negatives Ergebnis erhalten, zeigt die Sensitivität den Anteil der mit dem Virus Infizierten an, die tatsächlich korrekt ein positives Testergebnis erhalten. Was also trügerisch sein kann: Ein negatives Antigentest-Ergebnis schließt eine Infektion nicht zwingend aus – und kann auch aus einer geringen Viruslast zum Testzeitpunkt resultieren.

„Wir übersehen die Hälfte“

Konkret lägen bei PCR-Tests sowohl die Sensitivität als auch die Spezifität beim Coronavirus bei fast 100 Prozent – auch bei geringer Viruslast, so die Experten. Bei Infizierten mit Symptomen funktionierten die Antigentests recht zuverlässig, sagt Bobrowski: Die Sensitivität liege bei etwa 80 und die Spezifität bei etwa 95 Prozent. Bei asymptomatischen Verläufen mit geringer Viruslast sei das anders: Hier falle nur bei etwa der Hälfte der Infizierten der Antigentest korrekt positiv aus. „Das heißt, wir übersehen die Hälfte.“

Auch erste Studienergebnisse geben Hinweise darauf, dass Antigentests bei Omikron frühe Infektionen übersehen könnten. Laut einer Studie eines Teams um Blythe Adamson (University of Washington) zeigte ein direkter täglicher Vergleich von PCR-Tests im Speichel und nasalen Antigentests bei einer Kohorte von 30 Menschen, dass letztere eine Omikron-Infektion oft erst wesentlich später erkannten. Die meisten Omikron-Infizierten waren demnach einige Tage lang infektiös, bevor dies durch Antigen-Schnelltests nachgewiesen werden konnte. Die Studie ist noch nicht in einem Fachjournal veröffentlicht.

PEI: Hohe Viruslast zum Testzeitpunkt nötig

Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) verweist in einer Online-Übersicht darauf, dass Antigentests nicht zur sicheren Diagnose einer Corona-Infektion entwickelt worden seien, sondern um Menschen mit einer sehr hohen Viruslast schnell und einfach zu identifizieren. Auch seitens des PEI heißt es: Eine Infektion, auch mit der Omikron-Variante, könnten die Tests nur entdecken, wenn zum Testzeitpunkt eine hohe Viruslast bestehe.

Aber: Grundsätzlich kann der Großteil der in Deutschland angebotenen Corona-Schnelltests laut PEI die Omikron-Variante erkennen. Der Präsident des Instituts, Klaus Cichutek, sagte zuletzt im ZDF-„Morgenmagazin“, dass das Institut mittlerweile über 250 Test-Produkte auf ein höheres Level an Sensitivität bewertet habe und mindestens 80 Prozent dieses Niveau auch schafften.

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Hinsichtlich der von Lauterbach angekündigten „Positivliste“ für Schnelltests, die Omikron gut erkennen können, erläuterte ein Gesundheitsministeriumssprecher: Die vom PEI genannten Daten seien ein Zwischenstand. Das Erstellen der kompletten Liste dauere an. Er bekräftigte, dass Schnelltests keine 100-prozentige Gewissheit böten, aber für mehr Sicherheit im Alltag sorgten.

Keine Engpässe bei PCR-Tests?

Also mehr PCR-Tests? Zuletzt warnte etwa der Ärzteverband Marburger Bund vor möglichen Engpässen bei PCR-Tests. Das Gesundheitsministerium gab dazu an, die mögliche Wochen-Kapazität von 2,4 Millionen Tests werde mit derzeit bis zu 1,5 Millionen PCR-Tests noch nicht ausgereizt. Der Vorsitzende des Verbands Akkreditierte Labore in der Medizin (ALM), Michael Müller, sagte: „Die Belastung in den Laboren ist zwar erheblich, aber ich sehe keinen Grund für zu große Sorgen.“ Bei zunehmendem Testgeschehen und begrenzten Kapazitäten komme es darauf an, die Nationale Teststrategie stärker in den Fokus zu nehmen.

Sollten die Fallzahlen so massiv ansteigen, dass die Kapazitäten knapp würden, müssten aus Sicht von Laborarzt Bobrowski PCR-Tests von Menschen aus Risikogruppen und von Beschäftigten der kritischen Infrastruktur bevorzugt ausgewertet werden, um binnen 24 Stunden Ergebnisse zu haben. Die Nationale Teststrategie sieht so eine Priorisierung vor.

Aktualisierung um 15:57 Uhr:

Trotz Bedenken von Laborärzten hält die Bundesregierung an der Möglichkeit fest, eine Corona-Quarantäne auch mit einem negativen Antigen-Schnelltest zu beenden. Speziell am Ende einer Infektion seien die Antigentests auch bei Omikron „sehr sensitiv“, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums am Mittwoch in Berlin. Wegen Zweifeln an der Zuverlässigkeit von Schnelltests hatte sich der Berufsverband Deutscher Laborärzte zuvor dafür stark gemacht, hier ausschließlich auf PCR-Tests zu setzen. „Ein Freitesten nur mit Antigentest, das geht nicht“, sagte Verbandschef Andreas Bobrowski der Deutschen Presse-Agentur.

Regierungssprecher Steffen Hebestreit wandte sich darüber hinaus gegen das Argument, die Laborkapazitäten für PCR-Tests würden derzeit nicht ausgeschöpft. Angesichts steigender Infektionszahlen sei in den kommenden Tagen auch eine höhere Auslastung der Labore zu erwarten, erklärte Hebestreit. Aus seiner Sicht wäre es deshalb „fahrlässig“, die Nachfrage ohne erkennbaren Nutzen zu erhöhen.



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