ABDA-Vizepräsident zum EuGH-Urteil 2016

Arnold: „Vor Gericht und auf hoher See …“

Stuttgart - 19.10.2021, 17:50 Uhr

ZAEU-Vizepräsident Mathias Arnold. (Foto: Schelbert / DAZ)

ZAEU-Vizepräsident Mathias Arnold. (Foto: Schelbert / DAZ)


„Wir haben im Berufsstand hart miteinander gerungen“

DAZ: Das heißt, das Rx-Versandverbot ist nicht an Spahn persönlich gescheitert, sondern er war nur der Überbringer der schlechten Nachricht?

Arnold: Nochmal: Ich würde es nicht an Jens Spahn als Person festmachen. Er hat es uns gegenüber lediglich ausgedrückt. Er hat uns deutlich gemacht, wie seine Wahrnehmung ist, und hat gesagt, dass er sich selbst da auch nicht verkämpfen wird, weil er keinen Erfolg sieht.

Und hat man nicht dann in Erwägung gezogen, das EuGH-Urteil infrage zu stellen, sprich: ein neues Verfahren anzustrengen?

Das Urteil des EuGH war geltendes Recht. Durch ein neues Verfahren wäre die Rechtsprechung nicht von heute auf morgen außer Kraft gesetzt worden. Völlig offen wäre dann gewesen, vor welcher Kammer man beim EuGH landet, und wie das Ergebnis aussieht. Man hätte viel Zeit verloren und eine große Unsicherheit im Berufsstand behalten. Daher wollten wir lieber Alternativen vorantreiben. Dadurch konnten wir viel schneller viel weiter kommen.

Das war aber keine einstimmige Meinung. Mindestens bis zum Deutschen Apothekertag 2019 hat man deutlich spüren können, dass es für diesen Weg deutliche Vorbehalte gibt.

Wir haben im Berufsstand hart miteinander gerungen, keine Frage. Das ist absolut nicht leicht gefallen. Wir waren alle zunächst vom besten aller Mittel, dem Rx-Versandverbot, überzeugt. Aber wenn wir das beste Mittel nicht bekommen, dann muss man nach Alternativen suchen. Diese haben wir so lange nicht öffentlich ausgesprochen, wie wir einen Sinn darin gesehen haben, für das beste Mittel zu kämpfen. Das war ein schwieriger Weg, aber letztendlich liefen viele Beschlüsse einstimmig. Und damit haben wir doch rückblickend viel mehr erreicht.

Hätten Sie Vertrauen in der Politik verspielt, wenn Sie weiterhin auf das Rx-Versandverbot oder ein neues EuGH-Verfahren bestanden hätten.

Die Verabschiedung des Perspektivpapiers „Apotheke 2030“ hat uns sehr viel Ansehen in der Politik gebracht. Damit waren wir der erste Berufsstand im Gesundheitssystem, der ein Perspektivpapier verfasst hatte. Hier waren wir sehr progressiv unterwegs. Das kam sehr gut an. Dann kam der gefühlte Rückschlag mit dem EuGH-Urteil, und schon hieß es: „Och ne, jetzt fangen die wieder an, sich um den Erhalt ihrer Strukturen zu kümmern und jegliche Veränderung abzulehnen.“ Die Gesprächspartner in der Politik, allen voran Jens Spahn, spiegelten uns wider, dass sich die Welt weiterdreht, Abgeordnete immer jünger werden, die Menschen andere Anforderungen haben und sich das Konsumverhalten verändert. Wir sollten mehr Flexibilität und Realismus an den Tag legen. Zukunft selbst gestalten und nicht darauf hoffen, dass sie uns Richter erhalten. Das waren die – meist freundschaftlich gemeinten – Ratschläge in jener Zeit.

Fehlende Kommunikation

Die Stimmung im Berufsstand ist deshalb so aufgeheizt gewesen, weil es an Kommunikation gemangelt hat. Ein Umstand, den Friedemann Schmidt zum Ende seiner Amtszeit zugegeben hat. Hätte man mehr über diese Strömungen und Stimmungen im politischen Berlin öffentlich reden müssen?

Mit der Kommunikation ist das immer so eine Sache – vor allem dann, wenn die Gegenseite auf Vertraulichkeit besteht. Das ist wie bei Sondierungsgesprächen nach einer Bundestagswahl. Das Parteimitglied an der Basis kann nicht erwarten, dass es über alle Einzelheiten aus vertraulichen Gesprächen zwischen den Verhandlungspartnern informiert wird.

Aber halten Sie die Vertraulichkeit im Zusammenhang mit dem Rx-Versandverbot rückblickend für angebracht?

Sie war gefordert!

Was wäre denn die Konsequenz gewesen, wenn Sie drauf bestanden hätten, dass Sie die Kolleginnen und Kollegen an der Basis regelmäßig informieren?

Viele Gespräche begannen mit den Worten „Das bleibt unter uns“. Ich weiß nicht, wie das innerhalb der CDU-Gremien oder innerhalb des Bundeskabinetts gelaufen wäre, wenn wir gegenüber Jens Spahn darauf bestanden hätten, auf die Vertraulichkeit zu verzichten.

Aber nach eineinhalb oder zwei Jahren war doch so ein enormer Druck im Berufsstand. Haben Sie dann nicht mal gesagt „Herr Minister, wir müssen an die Öffentlichkeit“?

Doch, und dann hat Spahn gesagt, er kommt in die ABDA-Mitgliederversammlung, um mit allen zu sprechen. Spahn hat diese Auseinandersetzungen nie gescheut. Es war eine sehr gute und kontroverse Debatte damals im Dezember 2018. Genauso wie auf dem Apothekertag 2019.

Haben Sie das Gefühl, dass die Apotheker zukünftig immer weniger Unterstützer haben werden, wenn es um grundlegende Fragen zum Apothekensystem geht?

Das sehe ich nicht. Wir nehmen doch aktuell die Gegenbewegung wahr! Die ganz harten neoliberalen Tendenzen befinden sich auf dem Rückzug. Und spätestens seit der Corona-Pandemie haben doch selbst die Kritiker gemerkt, wie wichtig eine flächendeckende Versorgung ist, ein agiles Netzwerk mit kleinen Strukturen. Man kann in der heutigen Welt nicht auf Apotheken verzichten. Als Dinosaurier wurden wir schon lange nicht mehr bezeichnet. Man diskutiert vielmehr über die Werkzeuge, um das jeweilige Systemziel zu erreichen.

Das Mittel für die Gleichpreisigkeit heißt Rx-Boni-Verbot und schließt die private Krankenversicherung nicht mit ein. Für wie hoch halten Sie das Risiko, dass hier wieder ein Ungleichgewicht entsteht?

Keine Frage, man muss es beobachten. Aktuell sehen wir, dass die PKV ihre Versicherten nicht zum Versandhandel zwingt. Solange beide Preissysteme akzeptiert werden, ist das okay. Die PKV ist schon mit der Aut-idem-Regelung glücklich und wird sich wahrscheinlich vermehrt um Rabattverträge bemühen. Es wird eher um die Zukunft der PKV insgesamt gehen als um kleinteilige Diskussionen. Wir dürfen hierbei keinen Tunnelblick haben. Das sieht man doch beim EuGH-Urteil in Bezug auf den Rx-Anteil des Versandhandels. Der ist nach wie vor sehr klein und praktisch unverändert. Der OTC-Anteil ist dagegen groß. Doch kein Gesetz wird das verändern können, und mit Gerichtsurteilen kann man höchstens Zeit gewinnen. Wir müssen akzeptieren, dass wir einen Wettbewerber mehr haben auf der Welt – und das ist der Versandhandel.

Herr Arnold, vielen Dank für das Gespräch.



Dr. Armin Edalat, Apotheker, Chefredakteur DAZ
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

ABDA Arroganz

von Dieter Dosquet am 20.10.2021 um 11:53 Uhr

und sowohl vor Gericht und auch auf hoher See sollte man immer mit einer passenden "Ausrüstung" unterwegs sein. War aber wohl unbekannt.

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