Saisonale Coronaviren: Studie in „Cell“

Kein Schutz vor COVID-19 durch frühere Erkältungen

Stuttgart - 18.02.2021, 07:00 Uhr

Antikörper saisonaler Coronaviren verhindern keine SARS-CoV-2-Infektion. (Foto: dottedyeti / stock.adobe.com)

Antikörper saisonaler Coronaviren verhindern keine SARS-CoV-2-Infektion. (Foto: dottedyeti / stock.adobe.com)


Schützen kreuzreaktive Antikörper gegen endemische Coronaviren vor COVID-19 oder mildern zumindest schwere Verläufe ab? Einer aktuellen Studie in „Cell“ zufolge hat zwar jeder Fünfte durch frühere Erkältungen Antikörper gegen saisonale Coronaviren, die auch mit SARS-CoV-2 kreuzreagieren – doch wirken die wenigsten neutralisierend. Sie verhinderten weder Infektionen mit SARS-CoV-2 noch schwere COVID-19-Verläufe. Allerdings boosterte andersrum eine SARS-CoV-2-Infektion die Antikörper eines anderen Coronavirus und könnte vielleicht eine Kreuzimmunität erzeugen.

Coronaviren verursachen häufig Infektionen der oberen und unteren Atemwege, vor allem während der Wintermonate von Dezember bis März. Zu den bekannten humanpathogenen und endemischen (dauerhaft gehäuft auftretend) humanen Coronaviren (hCoV) zählen HKU1 und OC43, die wie SARS-CoV-2 zu den Betacoronaviren gehören, und die Alphacoronaviren 229E und NL63. Bieten im Laufe des Lebens durchgemachte Infektionen mit diesen Coronaviren nicht einen gewissen Schutz vor SARS-CoV-2?

Daten hierzu gibt es bereits, auch zu der Frage, ob Kinder deswegen seltener und weniger schwer an COVID-19 erkranken als Erwachsene, weil sie aufgrund häufiger Infektionen vielleicht höhere Antikörperkonzentrationen gegen saisonale Coronaviren haben, die eine gewisse Kreuzreaktivität zu SARS-CoV-2 zeigen könnten.

Kreuzreaktivität: saisonale Coronaviren und SARS-CoV-2 – welche Hinweise gibt es?

Eine im September 2020 im „Journal of Clinical Investigation“ veröffentlichte Studie („Recent endemic coronavirus infection is associated with less-severe COVID-19“) deutete darauf hin, dass bereits vorhandene Immunantworten auf endemische Coronaviren durch kurz zurückliegende Infektionen zwar SARS-CoV-2-Infektionen nicht häufiger verhinderten, jedoch schwere COVID-19-Verläufe mildern könnten. Doch bleiben viele Fragen offen. Noch ist unbekannt, ob diese scheinbare Kreuzimmunität durch eine antigenspezifische zelluläre (T-Zell-Antwort) oder humorale (B-Zell-Antwort) vermittelt wird, ob es nur ein kurzfristiger Kreuzschutz ist, ob frühere Coronavirusinfektionen Antikörper produzieren lassen, die sodann SARS-CoV-2-Infektionen verhindern oder ihren Ausgang beeinflussen. Zudem ist unbekannt, ob das Alter bei der Kreuzimmunität eine Rolle spielt: Bekanntermaßen erkranken ältere Erwachsene häufiger symptomatisch und schwer an COVID-19 als Kinder. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass Kinder und jüngere Erwachsene eine stärkere vorbestehende Immunität gegen saisonale humane Coronaviren haben, die mit SARS-CoV-2 kreuzreagieren und so einen Schutz vor schweren und sogar symptomatischen SARS-CoV-2-Infektionen bieten. So fanden Londoner Wissenschaftler um George Kassiotis (Francis Crick Insitute, Imperial College of London) in SARS-CoV-2-negativen Personen Antikörper, die mit einer Untereinheit des SARS-CoV-2-Spikeproteins kreuzreagierten und eine neutralisierende Aktivität zeigten. Und: Kinder hatten diese Antikörper im Vergleich zu Erwachsenen deutlich häufiger. Veröffentlicht wurde die Arbeit in „Science“ unter „Preexisting and de novo humoral immunity to SARS-CoV-2 in humans“.

Um hier weiter Klarheit zu schaffen, haben Wissenschaftler:innen um Scott Hensley von der Perelman School of Medicine in Philadelphia Serumproben von Menschen unterschiedlichen Alters untersucht – diese Proben waren bereits 2017, sprich vor der COVID-19-Pandemie, angelegt worden. Sie bestimmten darin die Antikörperkonzentrationen gegen hCoV und prüften, ob diese Antikörper auch auf SARS-CoV-2 passen und ob sie sodann vor COVID-19 schützten. Ihre Arbeit veröffentlichten die Forscher:innnen Anfang Februar im Fachjournal „Cell“ („Seasonal human coronavirus antibodies are boosted upon SARS-CoV-2 infection but not associated with protection“).

Jede fünfte Probe enthält kreuzreaktive Antikörper – doch sind sie auch neutralisierend?

Sie untersuchten insgesamt 431 Serumproben – 263 von Kindern im Alter von 1 bis 17 Jahren (vom Children`s Hospital of Philadelphia) und 168 von Erwachsenen zwischen 18 und 90 Jahren (Penn Medicine Biobank). Um bei der Penn Medicine Biobank ausgewählt zu werden, durften die Personen keine Organtransplantation oder Krebs in der Vorgeschichte aufweisen, in den letzten neun Monaten nicht schwanger gewesen sein, und sie durften keine Infektionskrankheit innerhalb der letzten 28 Tage vor Blutentnahme durchgemacht haben. Die ausgewählten Seren wurden mit Laborviren versetzt, die Oberflächenstrukturen (u. a. SARS-CoV-2-Spikeprotein) trugen, und es wurde geprüft, ob eine Antigen-Antikörperreaktion stattfand.

Die Wissenschaftler:innen fanden in etwa 20 Prozent dieser 2017 entnommenen Proben kreuzreaktive Antikörper (IgG) gegen SARS-CoV-2: 4,2 Prozent der Serumproben enthielten Antikörper, die mit dem SARS-CoV-2-Spikeprotein (S) in voller Länge reagierten, bei 0,93 Prozent der Proben reagierten die früheren Coronavirus-Antikörper mit der Rezeptorbindungsdomäne (RBD) des SARS-CoV-2-Spikeproteins. Die meisten Proben (16,2 Prozent) enthielten jedoch Antikörper, die mit dem SARS-CoV-2-Nukleokapsidprotein (N) reagierten, also auf die Proteinhülle von SARS-CoV-2 passten. Bedeutsam ist hier: Antikörper gegen das Nukleokapsid wirken selten neutralisierend. Am ehesten erwartet man eine neutralisierende Wirkung von Antikörpern, die sich gegen die Rezeptorbindedomäne von SARS-CoV-2 richten – diese benötigt SARS-CoV-2, um in die menschliche Zelle zu gelangen. Ist diese jedoch durch Antikörper besetzt, kann SARS-CoV-2 nicht in die Zelle (neutralisierende Antikörperwirkung). Die Wissenschaftler:innen schreiben: „Im Gegensatz zu Serum-Antikörpern von bereits an COVID-19 Erkrankten (PCR-bestätigt), wiesen Serumantikörper von Personen vor der Pandemie sehr niedrige oder nicht nachweisbare Konzentrationen von SARS-CoV-2 neutralisierenden Antikörpern auf, unabhängig davon, ob die Probe kreuzreaktive Antikörper gegen SARS-CoV-2 Spike und Nukleokapsidproteine besaß oder nicht“. Das bedeutet: Die Wissenschaftler:innen fanden zwar kreuzreaktive Antikörper, diese waren jedoch nicht neutralisierend.

Kinder haben gleiche Coronavirus-Antikörperkonzentrationen wie Erwachsene

Am häufigsten hatten die präpandemischen Serumproben Antikörper gegen das Spikeprotein der humanen Coronaviren 229E, NL63 und OC43, wobei die höchsten Antikörperspiegel für hCoV-OC43 festgestellt wurden. Auch fanden die Wissenschaftler:innen keine Unterschiede zwischen Kindern oder Erwachsenen hinsichtlich der Antikörperkonzentrationen (entgegen anderen Studien: siehe Infokasten). Doch abgesehen von diesen reinen Labortests – verhindern diese saisonalen Coronavirus-Antikörper vielleicht unter realen Bedingungen COVID-19? Das war die Frage hinter einer weiteren Studie.

Verhindern kreuzreaktive Antikörper COVID-19 oder mildern schwere Verläufe?

In einer weiteren Untersuchung verglichen die Wissenschaftler:innen sodann 251 präpandemische Serumproben von mittlerweile an COVID-19 Erkrankten (und wieder Gesundeten) mit 251 präpandemischen Serumproben von Personen, die sich bislang nicht mit SARS-CoV-2 infiziert haben. Erkranken Menschen mit kreuzreaktiven Antikörpern gegen saisonale Coronaviren seltener oder weniger schwer an COVID-19? Die Ergebnisse ähneln der ersten Studie: In 23,9 Prozent der präpandemischen Proben fanden sich Antikörper, die mit dem SARS-CoV-2-Nukleokapsidprotein reagierten, 2,2 Prozent der Serumproben enthielten Antikörper, die gegen das SARS-CoV-2-Volllängen-Spikeprotein reaktiv waren, und nur 0,6 Prozent der Proben besaßen präpandemische Antikörper, die mit der SARS-CoV-2 S-Rezeptorbindedomäne interagierten.

Antikörper saisonaler Coronaviren mildern COVID-19 nicht

Allerdings beeinflusste das Vorhandensein der kreuzreaktiven Antikörper nicht, ob sich ein Patient mit SARS-CoV-2 infizierte oder nicht. Die Wissenschaftler:innen fanden keinen Zusammenhang zwischen Antikörpern (gegen das Spikeprotein des saisonalen Coronavirus OC43) und der Häufigkeit einer Infektion mit SARS-CoV-2, dem Schweregrad von COVID-19, Krankenhauseinweisungen, der Behandlung auf Intensivstationen oder Beatmungen.

Waren die Serumproben zu „alt“?

Nun könnte es sein, bedenken die Studienautor:innen, dass die Antikörper der teilweise mehrere Jahre alten Serumproben (gesammelt 2013-2020) nicht die tatsächlich vorhandenen saisonalen Coronavirus-Antikörperspiegel der Patienten zum Zeitpunkt der Pandemie widerspiegelten. Denn: Die Antikörperspiegel verändern sich über die Zeit. So deutet eine frühere Studie, veröffentlicht im September 2020 im Fachjournal „Nature Medicine“, darauf hin, dass eine schützende Immunität gegen saisonale Coronaviren kurzlebig ist („Seasonal coronavirus protective immunity is short-lasting“, Nature Medicine) oder über die Jahre – vermutlich durch wiederholte Exposition – schwanken kann („A systematic review of antibody mediated immunity to coronaviruses: kinetics, correlates of protection, and association with severity“, Nature Communications). Um auch diesen Effekt besser zu berücksichtigen, verglichen die Wissenschaftler:innen eine Untergruppe von Serumproben von April 2019 bis März 2020. Doch auch hier fanden sie keinen schützenden Effekt durch Antikörper saisonaler Coronaviren: Die Menschen besaßen präpandemische kreuzreaktive, nicht neutralisierende Antikörper gegen SARS-CoV-2-Spike- und Nukleokapsidproteine, aber diese Antikörper waren weder mit dem Schutz vor SARS-CoV-2-Infektionen noch der Verringerung von Krankenhausaufenthalten nach SARS-CoV-2-Infektionen verbunden.

Und andersrum? Schützen SARS-CoV-2-Antikörper vor saisonalen Coronaviren?

Allerdings machten die Wissenschaftler:innen eine andere Beobachtung: So erhöhte eine SARS-CoV-2-Infektion die Antikörpertiter gegen das saisonale Coronavirus OC43 – sowohl OC43 als auch SARS-CoV-2 zählen zu den Betacoronaviren. Dies untersuchten die Wissenschaftler:innen an COVID-19-Erkrankten, zuvor hatten sie eine Doppelinfektion mit OC43 parallel zu SARS-CoV-2 ausgeschlossen. Anderen hCoV-Antikörpertitern verschaffte eine SARS-CoV-2-Infektion hingegen keinen „Boost“. Diese Daten deuteten darauf hin, dass präpandemische SARS-CoV-2 reaktive Antikörper wahrscheinlich durch zuvor zirkulierende Betacoronavirus-Stämme, wie OC43, hervorgerufen wurden, schlussfolgern die Forscher:innen. Allerdings beeinflussten die erhöhten hCoV-OC43-Antikörperspiegel nicht den Ausgang der COVID-19-Erkrankung. „Die Ergebnisse liefern Hinweise, dass kreuzreaktive Antikörper, die durch frühere hCoV-Infektionen ausgelöst werden, nicht mit dem Schutz vor SARS-CoV-2-Infektionen assoziiert sind, sondern nach einer Infektion mit SARS-CoV verstärkt werden.“ Ob nun diese erhöhten Antikörperspiegel sodann auch vor Erkältungen durch das saisonale Coronavirus OC43 schützen, untersuchten die Wissenschaftler:innen nicht.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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