Künstliche Intelligenz

Husten, Röntgenbilder, Algorithmen – KI und COVID-19

Düsseldorf - 16.02.2021, 07:00 Uhr

Ein Besucher der Japan IT Week 2020 überprüft seine Temperatur mit der Wärmebildkamera NUWA Ocular des KI-Roboters „Kebbi“. (Foto: IMAGO / ZUMA Wire)

Ein Besucher der Japan IT Week 2020 überprüft seine Temperatur mit der Wärmebildkamera NUWA Ocular des KI-Roboters „Kebbi“. (Foto: IMAGO / ZUMA Wire)


Seit Beginn der COVID-19-Pandemie sind um den Globus zahlreiche Projekte entstanden, die mittels Künstlicher Intelligenz bei der Diagnose und Therapie von COVID-19 helfen sollen. Die Bandbreite reicht von der Auswertung von Röntgenbildern über das Erkennen Infizierter am Husten bis zur Prognose, wer die Krankheit am ehesten überlebt.

Eine der jüngsten Veröffentlichungen im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz (KI) beziehungsweise „Maschinen Lernen“ und der COVID-19-Pandemie klingt ein wenig beunruhigend: „Computer can determine whether you'll die from COVID“ – „Der Computer kann bestimmen, ob Sie an COVID-19 sterben“, titelt die Universität Kopenhagen sehr zugespitzt über einer Pressemitteilung zu einer Veröffentlichung von Forschern um ihren Informatik-Professor Mads Nielsen.

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Mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit könne die KI vorhersagen, ob ein noch nicht Infizierter an COVID-19 sterben werde, wenn er sich infizieren würde, sagen die Forscher. Veröffentlicht haben die Dänen ihre Studie jetzt im Fachmagazin „Scientific Reports“, das zur „Nature“-Gruppe gehört. Auf Basis der Daten von 5.594 Patient:innen aus Dänemark und dem Vereinigten Königreich trainierten die Informatiker eine KI, Voraussagen zu treffen, ob „zukünftige“ Patient:innen bei einer möglichen COVID-19-Infektion ein Beatmungsgerät brauchen oder mit hoher Wahrscheinlichkeit sterben würden.

Als Datensatz für die Berechnung verwendeten die Forscher demografische Angaben wie Alter und Geschlecht, den Body-Mass-Index, also das Verhältnis von Körpergröße und Körpergewicht, Vorerkrankungen und regelmäßig eingenommene Arzneimittel. Demzufolge haben ältere Männer mit hohem BMI und Bluthochdruck ein besonders hohes Risiko, an COVID-19 zu versterben, sagen die Forscher:innen.

Nachdem in der ersten Welle in Dänemark die Beatmungsplätze knapp geworden waren, hatten die Informatiker:innen ihre Arbeit begonnen, um mit ihrem Programm besser vorhersagen zu können, wer wo Beatmung wahrscheinlich brauchen würde. Mit den verfügbaren Impfungen erweiterten sie das Anwendungsspektrum. „Unsere neuen Erkenntnisse könnten genutzt werden, um sorgfältig zu erkennen, wer den Impfstoff benötigt“, sagte Professor Nielsen zur möglichen Anwendung seiner Algorithmen.

Die Smartwatch kennt die Diagnose vor dem PCR-Test

Das ist dabei nur ein Beispiel für die Anwendung von Künstlicher Intelligenz im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Seit Beginn der Pandemie haben sich viele öffentliche und private Forschungseinrichtungen auf das Thema fokussiert – oder auch bereits bestehende Forschungsprojekte in Richtung COVID-19 gedreht oder erweitert.

Auch Smartwatches und Fitness-Tracker beziehen Wissenschaftler:innen mittlerweile ein. So veröffentlichten Forscher:innen der amerikanischen Stanford-Universität und des New Yorker Mount Sinai-Hospitals kürzlich eine Arbeit, die belegt, dass sich über die Veränderung der Herzfrequenz-Variabilität (also der gemittelten Variation des Zeitraums, der zwischen zwei Herzschlägen vergeht) zusammen mit anderen Faktoren bereits Tage vor Symptom-Ausbruch oder gar positivem Test erkennen lässt, ob jemand mit SARS-CoV-2 infiziert ist. Die Arbeit dazu erschien im Fachmagazin „Nature Biomedical Engineering“.

Gleich mehrere Projekte weltweit versuchen die Möglichkeiten der Spracherkennung Künstlicher Intelligenzen für die Pandemie-Bekämpfung zu nutzen. So veröffentlichten Forscher des MIT, des Massachusetts Institute of Technology, bereits im September 2020 ihre Ergebnisse im Fachmagazin „IEEE Engineering in Medicine & Biology“. Ihr Programm vermag mit 98,5-prozentiger Wahrscheinlichkeit nur aus dem Geräusch eines absichtlichen Hustens zu erkennen, ob jemand etwa asymptomatisch an COVID-19 erkrankt ist. Trainingsmaterial der KI waren dabei Tausende mit dem Smartphone aufgenommene Huster wie auch eingesprochene Wörter von Freiwilligen, die zusätzlich per PCR-Test auf COVID-19 untersucht wurden. Entstehen soll laut Forscher:innen daraus eine „anwenderfreundliche Smartphone-App“, die als Vorscreening genutzt werden könnte.

2,5 Millionen Euro für Forschung an Husten-Geräuschen

Unter anderem mit 2,5 Millionen Euro Zuschuss vom Europäischen Forschungsrat wurde auch ein ähnlicher Ansatz von Forscher:innen der britischen Universität Cambridge mitfinanziert. Die App „COVID-19 Sound App“ „sammelt demografische und medizinische Informationen von Benutzern sowie Sprachproben, Atem- und Hustenproben über das Mikrofon des Telefons“, so die Mitteilung der EU dazu. „Nach Gesprächen mit Ärzten ist eines der häufigsten Dinge, die sie bei Patienten mit dem Virus festgestellt haben, die Art und Weise, wie sie beim Sprechen Atem holen, sowie ein trockener Husten und die Intervalle ihrer Atemmuster“, erklärt Professor Cecilia Mascolo vom „Cambridge Department of Computer Science and Technology“ den Forschungsansatz.

Seit April sammeln die Forscher:innen über die App Aufnahmen von Husten und Atmung – wobei sowohl gesunde als auch nicht-gesunde Teilnehmer:innen willkommen seien, um die KI weiter zu trainieren und zu verbessern. Einen ähnlichen Ansatz hatten bereits vor der Pandemie Forscher der ETH-Universität in Lausanne in der Schweiz. Über die Lungengeräusche soll ihre Anwendung bakterielle von viralen Lungenentzündungen unterscheiden helfen – und nun auch speziell COVID-19-Infektionen erkennen. Das „Pneumoskop“ lernt immer noch weiter dazu wie auch etwa der Algorithmus eines israelischen Unternehmens, dessen Smartphone-App ursprünglich das Anfangsstadium von COPD, der Chronisch obstruktiven Lungenerkrankung, erkannte – und nun ebenfalls auf COVID-19 trainiert wird. Zahlreiche weitere Projekte dieser Art existieren weltweit. Viele Forscher:innen gehen davon aus, dass zukünftig auch etwa smarte Lautsprecher-Systeme wie Amazons Alexa, Apples Siri oder Googles Sprachassistent an der Stimme Krankheiten erkennen könnten.

Unter anderem Milchglasinfiltrate im CT-Bild automatisch erkennen

Bereits seit Beginn der Pandemie in Anwendung sind auch Algorithmen, die aus bildgebenden Diagnostikverfahren herauslesen können, ob jemand an COVID-19 erkrankt ist. Unter anderen Forscher:innen des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz veröffentlichten dazu Ergebnisse. Dabei wertet die KI Computer-Tomografie-Aufnahmen des Brustkorbs von Patient:innen aus. Unter anderem in China und den USA funktionierten Mediziner:innen auch bereits bestehende entsprechende Diagnose-Software zur Auswertung von CT- und Röntgenaufnahmen entsprechend um. Charakteristisch für eine SARS-CoV-2-Infektion der Lunge sind dabei sogenannte „Milchglasinfiltrate“. Abgegrenzte Bereiche, in denen sich Flüssigkeit ansammelt, was als weiße Flecken auf den Aufnahmen erkennbar ist. Die KI scannen dabei unter anderem automatisch auf diese Besonderheit.

Auch dabei ist insbesondere das maschinelle Lernen gefragt – in diesem Fall „Deep Learning“, eine besondere Form des Maschinen-Lernens mit neuronalen Netzen. Wie bei den Audio-Verfahren werden auch für die visuellen Methoden Tausende Proben benötigt. In Deutschland forschen unter anderen Mediziner:innen und Wissenschaftler:innen des Universitätsklinikums Ulm und der Technischen Hochschule Ulm an dem Thema, wie das Portal „Lungenärzte im Netz“ berichtet.

Von solch konkreter Diagnostik am einzelnen Patienten abgesehen kommt die KI auch bereits bei der Suche nach Arzneimitteln und in der Epidemiologie zum Einsatz – mit einem breiten Spektrum an Einsatzgebieten.

Wirksamkeit nicht-pharmazeutischer Maßnahmen per KI prüfen

Unter anderem Google nutzt die Daten seiner User, um die Wirksamkeit „nicht-pharmazeutischer Maßnahmen“ wie Lockdown und Ausgangssperre – anhand der Mobilitätsdaten von Smartphone-Usern – darzustellen. Korreliert man dies etwa mit Fallzahlen, lassen sich epidemiologische Aussagen treffen. Ansätze sind auch etwa die Analyse von Suchanfragen etwa nach bestimmten Krankheitssymptomen, ausgewertet nach Regionen. Damit versuchte Google bereits in der Vergangenheit die Entwicklung von Grippe-Epidemien vorherzusagen.

Auch Remdesivir, das bislang einzige nicht-Antikörper-basierte zugelassene Arzneimittel zur Behandlung von COVID-19, wurde per KI gefunden. In dem Fall dank einer automatisierten Datenbank-Analyse aller weltweiten Veröffentlichungen. Andere Ansätze versuchen per Bioinformatik Wirkstoffe zu finden, die an spezifische Stellen wie das Spike-Protein des COVID-Erregers andocken.

„The Lancet“ warnt vor zu schnell zugelassenen KIs

Viele Ansätze haben allerdings gemein, dass sie auch hohe Fehlerquoten aufweisen. Falsch positive Ergebnisse etwa oder im Fall der nur in Silicio gefundenen Wirkstoffe, dass sie in vivo nicht funktionieren. KI ist immer nur so gut wie der zugrunde liegende Algorithmus. Der wiederum hängt von der Menge der berücksichtigten Variablen ab.

Ein nicht medizinisches aber mit COVID-19 zusammenhängendes Beispiel für fragwürdige KI-Entscheidungen beschreibt etwa das Manager Magazin in einem KI-kritischen Artikel. Britische Schüler sollten mittels einer KI des britischen Bildungsministeriums Abschlussnoten erhalten, die als wahrscheinlich für die wegen der Pandemie ausgefallenen Klausuren für jeden Schüler berechnet wurden. Die KI bewertete in der Folge aber insbesondere Kinder aus Arbeiter- und Migrantenfamilien mit schlechten Noten. Bei ihren Protesten schrieben die Schüler „Fuck the algorithm“ auf ihre Plakate.

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Erster per KI generierter Wirkstoff in klinischer Studie

Das Fachmagazin „The Lancet“ warnt in einem aktuellen Leitartikel aus dem Januar 2021 davor, den Algorithmen zu schnell zu vertrauen. Wie auch bei einigen Arzneimitteln gab es in den USA bereits eine Notfall-Zulassung für eine COVID-19-KI-Anwendung. In dem Editorial zieht das Magazin eine im BMJ-Journal veröffentliche Studie heran, die besagt, dass eine große Zahl der KIs nur auf zu kleinen oder qualitativ schlechten Datensätzen trainiert worden seien und daher viele falsche Ergebnisse lieferten.

KI könne ein Retter aus der Pandemie sein – man müsse sie nur besser testen und trainieren, schließen die Lancet-Autoren.

Lesetipp: Diese Woche erscheint die neue Arzneimittel&Recht (1/2021):

In dieser Ausgabe befasst sich Prof. Dr. Heinz-Uwe Dettling mit dem Thema „Künstliche Intelligenz, Arzneimittel und Apotheke vor Ort“. Teil 1 des Beitrags erschien in A&R 6/20.



Volker Budinger, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

KI zur Pandemiebekämpfung

von Lisa am 16.02.2021 um 17:23 Uhr

Seltsame Blüten treibt die Pandemie.
Wie wär's in erster Linie mit Stärkung des Immunsystems - ständige Angst - und Panikmache beenden, voreilige Fiebersenkung vermeiden, alles fördern, was dem Immunsystem gut tut wie Bewegung in der frischen Luft ohne Maske (zB auch Skifahren - muß ja laut Herrn Söder sehr gefährlich sein) usw.
Und es. kann ja auch gar nicht sein, dass sogar Homöopathen in Indien, USA und anderen Ländern sehr gute Erfolge bei der Behandlung von Covid-Patienten hatten/haben. Einfach mal - ohne Denkverbote - die Methode vielleicht miteinbeziehen, können muß man's halt. Mal sehen, ob wir dann die (vertrauenswürdigen?) Algorithmen noch brauchen.

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