Analyse

Regionalisierte pharmazeutische Dienstleistungen – ein Trojanisches Pferd

Süsel/Berlin - 12.10.2020, 17:50 Uhr

Was so sympathisch als flexibles regionales Konzept angepriesen wird, erweist sich bei näherem Hinsehen als Selektivvertrag. (m / Bild: peterschreiber.media / stock.adobe.com)

Was so sympathisch als flexibles regionales Konzept angepriesen wird, erweist sich bei näherem Hinsehen als Selektivvertrag. (m / Bild: peterschreiber.media / stock.adobe.com)


In den vergangenen Wochen mehrten sich die Rufe vonseiten der Politik und der Verbände nach einer Regionalisierung der neuen pharmazeutischen Dienstleistungen. Auch wenn Verträge mit einzelnen Krankenkassen zunächst verlockend wirken, bergen sie doch eine Reihe von Gefahren – nicht nur für die Apotheken, sondern vor allem für die Versorgung der Menschen vor Ort, meinen DAZ-Autor Dr. Thomas Müller-Bohn und DAZ.online-Redakteurin Christina Müller.

Nicht erst seit der Verbändeanhörung zum Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz im Gesundheitsausschuss des Bundestags ist klar: Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist so gar nicht begeistert von der Idee, dass die Kassen für neue pharmazeutische Dienstleistungen bezahlen sollen. Sollte die Apothekenreform also wie geplant noch im Oktober in ihrer aktuellen Fassung den Bundestag passieren, drohen zähe Verhandlungen mit dem Dachverband der Kostenträger.

Das könnte für das Konzept zur Stolperfalle werden: Schafft es der GKV-Spitzenverband, eine Einigung bis zur Bundestagswahl zu verschleppen, fürchten Beobachter, dass mögliche Spargesetze der neuen Regierung in der kommenden Legislaturperiode die pharmazeutischen Dienstleistungen auf Eis legen könnten. Mehr guten Willen als vom GKV-Spitzenverband erhofft sich manch ein Politiker von einzelnen Krankenkassen, die über Selektivverträge auf regionaler Ebene mit den Apotheken zusammenfinden könnten.

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Das klingt zunächst nach einer guten Idee. Immerhin zeigen einzelne Kassen deutliches Interesse daran, die Apotheken als niedrigschwellige Anlaufstellen für ihre Versicherten stärker in die Gesundheitsversorgung einzubinden als bisher. Das verspricht spürbar mehr Dynamik als der Versuch, mit dem GKV-Spitzenverband übereinzukommen – die Blockadehaltung des obersten Kassengremiums ist offensichtlich. Doch die ABDA warnt davor, von einem bundesweiten Konzept abzurücken, und das zu Recht.

Regional heißt selektiv

Was so sympathisch als flexibles regionales Konzept angepriesen wird, erweist sich bei näherem Hinsehen als Selektivvertrag. Denn letztlich ginge es darum, dass verschiedene Krankenkassen unterschiedliche Verträge abschließen. Doch der kollektivvertragliche Ansatz im bisherigen Gesetzentwurf ist gut durchdacht. Er setzt einen wichtigen Anreiz: Wenn alle Kassen für die neuen Leistungen zahlen müssen, sollten sie auch ein Interesse haben, dass ihre Versicherten profitieren. Die gemeinsame Finanzierung legt einheitliche Leistungen nahe. Selektivverträge würden diesem Ansatz widersprechen.

Solche Vereinbarungen hätten zur Folge, dass aus einem Topf, in den alle Kostenträger einzahlen, lediglich ein Teil der Kassen Gelder abziehen könnte, die dann allein deren Mitgliedern zugutekämen. Zu befürchten wäre zudem ein Hauen und Stechen um die mit 150 Millionen Euro ohnehin sehr knapp bemessenen finanziellen Mittel. Denn würde zum Beispiel eine Krankenkasse in Bayern eine attraktive, aber kostenintensive pharmazeutische Dienstleistung vergüten, die vielfach in Anspruch genommen würde, bliebe für Versicherte in Schleswig-Holstein alsbald kein Geld mehr übrig. Ein finanzieller Verteilungsschlüssel unter den Kassen wiederum scheint weder ohne Weiteres umsetzbar noch zielführend.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


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3 Kommentare

Dienstleistungen als Spalter

von ratatosk am 13.10.2020 um 10:02 Uhr

Das war geschickt von Spahn und den Kassen lanciert um hier Selektivverträge endlich zu etablieren. Das alte Teile und Herrsche !:
Das war nie gedacht um Apohteken zu finanzieren, sondern um eine immagienäre Möhre für die Naiven zu installieren. Leider ist unser Standesführung tatsächlich auf diesen alten Trick auch noch reingefallen.
Nach dem Sündenfall Teleclinik, ist es eh wurst, da jetzt in der EU alles geht.
Spahn als Kanzler, dann habens wir wenigsten in Kürze hinter uns.

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Träume

von Karl Friedrich Müller am 12.10.2020 um 21:41 Uhr

„ Es erscheint naheliegend, dass Kollegen, die eine Apotheke gründen oder übernehmen möchten, sich auf Gebiete konzentrieren, in denen sie attraktive Leistungen für gutes Geld anbieten können – und sich damit übrigens gleichzeitig einen Vorteil bei der Personalakquise verschaffen. Für Regionen, in denen solche Leistungen nicht oder nur in geringem Umfang verfügbar sind, könnte sich dies negativ auf die Apothekendichte auswirken.“

Es sind Träume davon, dass Dienstleistungen finanziell attraktiv wären.
Das sieht bisher gar nicht danach aus, ganz und gar nicht.
Daher wird die Apothekendichte unweigerlich sinken, so oder so.
Die Versender greifen den Umsatz ab, den leichten, unkomplizierten.
Träume über Träume
Quatsch mit Soße

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Pharm. Dienstleistungen

von Scarabäus am 12.10.2020 um 18:32 Uhr

Unsere Hauptdienstleistungen heißen Beratung, Wechsel-& Nebenwirkungscheck, schnellste Arzneimittelbeschaffung unter schwierigsten Umständen und BOTENDIENST(!!!). Bevor hier nicht eine adäquate Honorierung stattfindet, braucht man über Dumpingimpfer und zusätzliches Billigdienstleistungsgekasper gar nicht zu diskutieren!

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