Erstattungsausschlüsse in den Niederlanden

Opioide statt Paracetamol – ein unerwünschter Substitutionseffekt

Remagen - 29.06.2020, 17:50 Uhr

Durch den Erstattungsausschluss von Paracetamol (1000 mg) verschrieben die Allgemeinmediziner einem Viertel der Patienten ein anderes Schmerzmittel, und zwar am häufigsten Naproxen, Oxycodon und Tramadol. (Foto: watkung / adobe.stock.com)

Durch den Erstattungsausschluss von Paracetamol (1000 mg) verschrieben die Allgemeinmediziner einem Viertel der Patienten ein anderes Schmerzmittel, und zwar am häufigsten Naproxen, Oxycodon und Tramadol. (Foto: watkung / adobe.stock.com)


So soll es gerade nicht sein: In den Niederlanden hat der Erstattungsausschluss von Paracetamol (1000 mg) sowie einiger Vitamine und Mineralien vor eineinhalb Jahren nicht etwa dazu geführt, dass die Patienten diese einfach freiwillig selbst bezahlen. Stattdessen kam es zu nachteiligen Substitutionen, etwas durch die Verschreibung von Opioiden, die mit einem höheren Risiko behaftet sind.

Auf Empfehlung des Instituts für die Gesundheitsversorgung wurden in den Niederlanden Anfang des letzten Jahres Paracetamol (1000 mg), Vitamin D und Calcium aus dem Basispaket der Krankenversicherung entfernt.  
Die Patienten sollten die nicht rezeptpflichtigen Medikamente von da an selbst bezahlen, auch wenn sie diese von ihrem Hausarzt verschrieben bekommen, so die Intention. Das hat aber offenbar nur partiell geklappt, wie eine Analyse des niederländischen Instituts für die Untersuchung der Gesundheitsversorgung (Nivel) auf der Basis von Versorgungsdaten und Patientenumfragen gezeigt hat. 

Weniger Verschreibungen

Nach dem Nivel-Monitor „Vitamine, Mineralstoffe und Paracetamol heraus dem Paket“ wurden die betroffenen Präparate infolge der Erstattungsausschlüsse in den Hausarztpraxen erwartungsgemäß weniger verschrieben. Trotzdem wird das gleiche Medikament immer noch in mehr als der Hälfte der Situationen verwendet, entweder weiterhin auf Verschreibung des Arztes, wobei die Patienten jetzt selbst zahlen müssen, oder über den direkten Kauf in der Apotheke. Zusätzlich zu diesem beabsichtigten Ergebnis gab es aber auch unerwünschte Ausweichreaktionen. So wurde in mehr als einem Fünftel der Fälle ein anderes Mittel eingesetzt, und zwar entweder ein anderes selbstgekauftes oder ein anderes Präparat, das aus dem Basispaket erstattet wird. 

Vielfach Switch zu erstattungsfähigen Alternativen

Durch den Ausschluss von Paracetamol (1000 mg) verschrieben die Allgemeinmediziner einem Viertel der Patienten ein anderes Schmerzmittel, und zwar am häufigsten Naproxen, Oxycodon und Tramadol. Der Einsatz dieser Analgetika mit einem ungünstigeren Risikoprofil kann laut Nivel zu mehr Komplikationen und letztendlich zu höheren Gesundheitskosten führen. Im Falle von Vitamin D (Colecalciferol) verordneten die Hausärzte anstelle der nicht mehr erstatteten Präparate mit einer niedrigen (täglichen) Dosierung häufig höhere mit einer wöchentlichen oder monatlichen Gabe, die die Kasse noch bezahlt. Diese sind aber erheblich teurer als die täglich dosierten. Viele Patienten, die Calcium verwendeten, wurden auf ein Kombinationspräparat umgestellt. Ein kleiner Teil der Betroffenen verzichtet seit dem Erstattungsausschluss ganz auf die Einnahme der Präparate, was ebenfalls als unerwünscht angesehen wird.

Schlechte Kommunikation mit dem Arzt oder Apotheker

Der niederländische Gesundheitsminister Martin van Rijn beklagt sich angesichts der Erkenntnisse des Nivel-Monitors in einem Schreiben an das Repräsentantenhaus über die unerwünschten Effekte. Dabei bezieht er sich vor allem auf den Umstieg auf alternative verschreibungspflichtige Medikamente, obwohl Selbstmedikationsarzneimittel verfügbar sind.  
Besonders besorgniserregend findet der Minister, Patienten von Paracetamol auf Schmerzmittel wie Opioide umzustellen. „Wenn das medizinisch unnötig ist, lehne ich dieses Verschreibungsverhalten ab“, so van Rijn. Ein weiterer Kritikpunkt des Ministers ist die schlechte Kommunikation zwischen Patient, Allgemeinarzt und Apotheke. Die Nivel-Experten hatten herausgefunden, dass Ärzte und Apotheker nicht genug mit den Patienten über die Änderung ihres Medikamentenkonsums kommunizieren. In etwa der Hälfte der Fälle soll nicht besprochen worden sein, dass ein Medikament abgesetzt werde. Van Rijn will die Ergebnisse des Monitors nun mit Berufsgruppen wie dem Apothekerverband (KNMP) und dem Hausärzteverband (LHV), Patientenorganisationen und Krankenversicherern diskutieren. 


Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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