Gastkommentar

Zwei Welten – Warum unser Gesundheitssystem es nicht schafft zu gesunden

Erding - 01.08.2019, 17:50 Uhr

Apotheker Dr. Franz Stadler sieht das Gesundheitssystem in zwei Welten fallen. Gibt es noch eine Chance, wieder zusammenzukommen? (Bild: Denys Rudyi / stock.adobe.com)

Apotheker Dr. Franz Stadler sieht das Gesundheitssystem in zwei Welten fallen. Gibt es noch eine Chance, wieder zusammenzukommen? (Bild: Denys Rudyi / stock.adobe.com)


Beispiele gefällig?

Beinahe wäre die Importquote im GSAV gestrichen worden – ein kleiner, wenig mutiger Schritt in Richtung mehr Arzneimittelsicherheit. Aber sowohl im neuen Rahmenvertrag zwischen GKV-Spitzenverband und DAV als auch im Gesetz stand dann doch wieder eine neue Quote, die sowohl den Kassen, den Importeuren, dem Saarland und auch einigen Apothekern Umsatz und Gewinn sicherte. Es wurde sogar ein neuer „Importmarkt“ im Rahmenvertrag geschaffen, der vermutlich den Importumsatz (und zusammen mit den anderen Regelungen die Retaxquote) weiter erhöhen wird. Letztlich spielte die Versorgungssicherheit bei dem ganzen Geschachere keine Rolle.

Genauso wenig wie beim Verzicht auf ein grenzüberschreitendes Rx-Versandhandelsverbot, bei der fortschreitenden Digitalisierung, die zusammen zu einer Quasi-Aufhebung der Verschreibungspflicht führen werden, und bei Securpharm, das in seiner jetzigen Form mehr die Fälscher als die Patienten schützt – ein Mehr an Arzneimittelsicherheit sieht anders aus.

Hinzu kommen die Rabattverträge, die uns Apothekern in Zeiten des neuen Rahmenvertrages geradezu als Segen und (Retax-)sicherer Hafen erscheinen, die aber letztlich die Hauptursache der ständig steigenden Lieferengpässe sind. Auch hier sparen die Krankenkassen (Welt eins) vermutlich (die genaue Höhe der Einsparungen und die erzielten Tiefstpreise bleiben geheim) in jeder Ausschreibungsrunde mehr. Wegen dieser Tiefstpreise entwickelt sich Deutschland im generischen (Rabattvertrags-)Markt immer stärker zum Exportland.

Das klarste Zeichen der Entfremdung zwischen Welt eins und Welt zwei ist aber die fehlende Wertschätzung der Arbeit, die aufgewandt werden muss, um all diese mehr oder weniger sinnlosen Regelungen umzusetzen. Hat sich irgendjemand, und wenn auch nur gedanklich, die Mühe gemacht, zu ermitteln, welchen Zeitaufwand, welchen logistischen Aufwand, welche Prozesskosten die Umsetzung der Rabattverträge, des neuen Rahmenvertrages, der Einführung von Securpharm etc. bei den öffentlichen Apotheken verursacht haben und wie oft wir täglich den völlig verunsicherten Patienten die Hintergründe erklären dürfen/müssen? Wo bleiben die berechtigten Gegenforderungen? Wo bleibt der Protest? Erklärt werden kann das komplette Fehlen jeder ernsthaften Gegenwehr nur mit der fortschreitenden Trennung unseres Gesundheitssystems in zwei Welten. Welt eins ist nicht betroffen oder sonnt sich lieber im Licht einer uninformierten Öffentlichkeit und Welt zwei hat nichts zu sagen. Es bleibt nur die vage Hoffnung, dass die Entscheidungsprozesse geändert werden. Sonst muss und wird Welt zwei sich irgendwann erheben … .

privat
Dr. Franz Stadler, Apotheker aus Erding, sieht unser Gesundheitssystem in zwei Welten getrennt. Und das gefällt ihm gar nicht.


Dr. Franz Stadler
redaktion@daz.online


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8 Kommentare

Zwei Welten

von Wolfgang Steffan am 02.08.2019 um 12:23 Uhr

Recht hat er, der Kollege Dr. Stadtler-
bloß, was ändert sein Artikel ??
Die Kolleginnen und Kollegen müssen sich ändern !
Seine Feststellungen sind grundsätzlich nichts Neues, aber die ganze Schreiberei ändert nichts daran, daß die Apotheker/innen einfach zu wenig Zivilcourage und Zusammenhalt haben und daher weiterhin über unsere Köpfe hinweg entschieden werden wird und das Gejammere weitergeht.
Jüngstes Beispiel: Die Fortsetzung der sog. Prä-Qualifizierung. Der für uns teuere Unfug wird jammernd
weitergemacht. Aber wer A sagt, muß halt B sagen.
Der Spuk würde sofort eingestellt, wenn konsequent alle
Apotheken die Hilfsmittelbelieferung für eine Woche einstellen
würden ! Aber dafür bedarf es einer Standesführung, die wirk-
lich führt - und keine Angsthasen, Zauderer , Speichellecker- aber auch Kollegen, die mitmachen und nicht ängstlich auf ihre Umsätze schielen, die ohnehin wegbrechen werden dank E-Rezept, DocMorris & Spahn .
Der Worte sind genug gewechselt !

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Zwei Welten

von Alexandra Tscheuschner am 02.08.2019 um 9:57 Uhr

Für mich der Artikel des Jahres!

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Hervorragende Analyse

von Michael Schulz am 02.08.2019 um 9:11 Uhr

Ich kann mich den anderen Kommentaren nur anschließen. Diese Analyse trifft genau den Kern vieler Probleme. Arrogante, eingebildete Funktionäre und Politiker in Welt 1, die von der Praxis keine Ahnung haben. Sie setzen Regelungen in Kraft, die im Alltag unpraktisch und umständlich sind und hacken in überheblicher Weise auf den Leistungsträgern aus Welt 2 herum ! Hoffentlich weht bald ein anderer Wind !

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Weltenwandel.

von Reinhard Rodiger am 02.08.2019 um 1:26 Uhr

Entscheidungsprozesse werden sich ohne Weltenwandel nicht ändern.Angesichts der Praktiken der Machthaber ist Aufstand der Betroffenen längst überfällig.Sie erbringen Leistungen aus Verantwortung und unter Vernachlässigung der existenziellen Interessen.Diese werden zudem gar nicht mehr vertreten.Niemand weiss zu schätzen, was das "am Laufen halten" an Energie kostet.Von den Kosten und dem Verlust an Glaubwürdigkeit abgesehen.Beides wird gar nicht erst erfasst.Erpressung und Nichtachtung geben die Richtung.Vielleicht sind zuviele mutlos und existenziell bedroht.Gerade sie sind es, die trotzdem den"Laden" am Laufen halten.Da ist nicht viel Zeit für Protest.Und, wenn er kommt, trifft er auf ausgefeilte Techniken zur Vaporisierung. Jede Debatte wird vermieden, das argumentative Material wird geheim gehalten oder gar nicht erst erarbeitet.Dagegen anzugehen ist extrem schwer.
Da müssten eben alle gleichzeitig losgehen...Aber dann wäre es ja Aufstand. Das geht ja nun überhaupt nicht.Und schon geht es weiter...Trauriger Kreislauf.Also Weltenwandel-durch was? Da bleibt nur die Krise.Und die haben wir gerade.Erheben ist angesagt.

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Auf den Punkt gebracht

von Rolf Wenz am 01.08.2019 um 21:18 Uhr

Absolut brilliante Analyse! Genau so ist es!!!

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Welten

von Karl Friedrich Müller am 01.08.2019 um 20:33 Uhr

Welt 1 verteilt Geld, das in Welt 2 dringend benötigt würde, an Welt 3, die hier gar nicht erwähnt wurde.
Welt 3 der Schmarotzer, der Renditejäger, der Dividenden und Absahner.
Das Geld fehlt den Krankenhäusern, den Notaufnahmen, Apotheken, Pflegern, Physiotherapeuten usw und vor allem den Patienten.
Die Arbeitenden im Gesundheitswesen sind am Anschlag und total überlastet.
Welt 1 muss zur Rechenschaft gezogen werden und Welt 3 ausgeschlossen. Sie hat im Solidarsystem nichts verloren.

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Zu Gastkommentar "Zwei Welten"

von Ute Höner am 01.08.2019 um 19:08 Uhr

Super auf den Punkt gebracht !
Warum gibt es keinen Protest? Das habe ich den DAV bzgl. der neuen Prüfungsauflagen in der Hilfsmittelbelieferung auch gefragt.
Anwort " Das ist mit den Apothekern nicht zu machen"
Es scheitert letztlich daran, daß jeder ein Einzelkämpfer ist, der im Alltag nicht die Zeit hat (von Gruppe 1 in Schach gehalten!) innerlich mal einen Schritt zurück zu treten, das absurde System von außen zu betrachten und Alternativen zu suchen.
Stattdessen dreht sich das Hamsterrad immer schneller.

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Ein Lichtblick an Weisheit

von ratatosk am 01.08.2019 um 18:38 Uhr

Leider sind solche Leute nicht an den Schaltstellen, sondern deren Gegenstücke, daher geht alles Stück für Stück zugrunde.

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