15. Zwischenahner Dialog

Apotheken im Zeitenwandel durch die Digitalisierung

Bad Zwischenahn - 27.05.2019, 13:45 Uhr

Neue Zeiten für die Apotheker: Beim 15. Bad Zwischenahner Dialog ging es am vergangenen Wochenende darum, wie die Digitalisierung die Apotheke vor Ort verändert. (Foto: imago stock / Westend61)

Neue Zeiten für die Apotheker: Beim 15. Bad Zwischenahner Dialog ging es am vergangenen Wochenende darum, wie die Digitalisierung die Apotheke vor Ort verändert. (Foto: imago stock / Westend61)


Die Digitalisierung ist ein Zeitenwandel. Sie führt zu neuen Prozessen, Erwartungshaltungen und Geschäftsmodellen. Dies war eine Kernaussage beim Zwischenahner Dialog. Was das für die Arzneimittelversorgung bedeuten kann, wurde besonders anhand der Rezeptbestellungen durch das E-Health-Unternehmen „vitabook“ deutlich.

Der Zwischenahner Dialog ist ein Diskussionsforum des Landesapothekerverbandes Niedersachsen mit Gesprächspartnern aus allen Bereichen des Gesundheitswesens. Er fand am Donnerstag und Freitag zum 15. Mal statt. In seiner Begrüßung betonte der Verbandsvorsitzende Berend Groeneveld, die Apotheker seien so digital aufgestellt wie kaum ein anderer Beruf. Doch bei der Digitalisierung müssten die Würde des Kranken und die sozialen Grundwerte geachtet werden. Eine rein marktwirtschaftliche Vorgehensweise sei schlecht für die Schwachen und „den digitalen Patienten wird es nicht geben“, erklärte Groeneveld. Darum sei die App des Deutschen Apothekerverbandes für das E-Rezept diskriminierungsfrei für alle nutzbar. Außerdem müsse sich jede Digitalisierungsmaßnahme daran messen, was damit zu erreichen sei. „Die Digitalisierung ist gut, wenn sie zu weniger Irrtum im Ergebnis führt, aber nicht wenn der Weg einfacher wird“, erklärte Groeneveld.

Alles neu: Geschäftsmodelle und Unternehmenskultur

Karsten Glied, Geschäftsführer der Techniklotsen GmbH, Bielefeld, forderte, neue Konzepte müssten einfach und sicher sein und einen inhaltlichen oder finanziellen Mehrwert bieten. Doch „Schutzzäune“ hätten keinen Erfolg. Denn er erwartet einen „Zeitenwandel“ mit neuen Prozessen, neuen Möglichkeiten und einem komplett veränderten Nutzerverhalten. Glied zeigte sich erstaunt, dass sich die Politik sogar auf das Geschäftsmodell des Taxi-Dienstleisters Uber einlasse, obwohl dies auf Sozialdumping angelegt sei. Die Apotheken müssten sich für den Wettbewerb mit Amazon rüsten, das zunehmend Interesse für den Gesundheitsmarkt zeige. Glied deutet die Position des Bundesgesundheitsministeriums so, dass das E-Rezept zur „Killer-Applikation“ werden soll. Gemeint ist, dass die Patienten an dieser Stelle eine grundsätzliche Veränderung bemerken. Glied mahnte, klare Ziele für die Digitalisierung zu formulieren und neue Angebote aus der Perspektive des Kunden zu sehen. Außerdem erwartet er ganz neue Ansätze für Führung, Kultur und Arbeit. Zur digitalen Wirtschaft würden Experimente gehören. Dort werde nicht lange nach dem perfekten Weg gesucht, sondern schnell etwas probiert und wieder geändert.  

Freier Weg durch das Digitale Versorgung-Gesetz

Rechtsanwalt Dr. Joachim Kasper, Kassel, zeigte sich erfreut über den wenige Tage zuvor veröffentlichten Referentenentwurf für das „Digitale Versorgung-Gesetz“ (DVG). Damit würden die rechtlichen Hindernisse für viele telemedizinische Angebote ausgeräumt. In den meisten Berufsordnungen der Ärzte sei das Fernbehandlungsverbot durch eine flexible Einzelfallentscheidung ersetzt worden. Doch auch das diesbezügliche Werbeverbot in § 9 Heilmittelwerbegesetz und das Abgabeverbot für Arzneimittel nach Fernbehandlungen in § 48 Arzneimittelgesetz würden nun aufgehoben. Handlungsbedarf sieht Kasper noch beim Bundesmantelvertrag der Ärzte und bei der Arzneimittel-Richtlinie. Die hohe Priorität der Politik für die Digitalisierung im Gesundheitswesen zeigt sich auch in der Einrichtung eines neuen Referats im niedersächsischen Sozialministerium. Der Leiter dieses Referats, Dr. Christoph Seidel, betonte die großen Chancen, besonders für die sektorübergreifende Versorgung.

Mehr Tempo bei der Telematik-Infrastruktur

Wie Kasper zeigte sich auch Dr. Franz Joseph Bartmann, Sprecher des Landesverbandes Nord der Deutschen Gesellschaft für Telemedizin, erfreut über das große Engagement von Gesundheitsminister Jens Spahn für die Telemedizin. Bisher seien die Zeitpläne der Telematik-Infrastruktur immer wieder verfehlt worden, aber „Spahn wird es schaffen, wenn er länger bleibt“, erwartet Bartmann. Durch das neue DVG kämen „Apps auf Rezept“ mit extrabudgetärer Vergütung hinzu. Der Referentenentwurf sehe vor, diese Apps nach einem Jahr durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte prüfen zu lassen und danach Preisverhandlungen durchzuführen. Bartmann mahnte, wer alles sofort machen wolle, erreiche nichts. Man solle machen, was jeweils geht, und Weiteres nachliefern. Auch Brigitte Käser, Geschäftsführerin Gesundheitsmanagement ambulant der AOK Niedersachsen, meinte, kleine Maßnahmen seien besser als gar nichts. Dazu verweis sie auf mehrere digitale Projekte der AOK Niedersachsen mit jeweils eng begrenzten Themen.

Vitabook: Bonus bei Rezeptbestellung

Um Apotheken ging es bei der Präsentation von Markus Bönig, Geschäftsführer der vitabook GmbH und Gründer von „ordermed“. Das namensgebende Produkt von vitabook ist ein „Gesundheitskonto“ mit einer elektronischen Patientenakte und weiteren Funktionen. In der Sichtweise der Apothekerorganisationen insbesondere zum E-Rezept sieht Bönig einen „Riesendenkfehler“.

Es gehe nicht darum, dass das Rezept in der gewünschten Apotheke lande. Die Aufgabe müsse früher ansetzen. Denn aus der Sicht des Patienten gehe es darum, „dass die leere Packung wieder voll wird“. Darum biete vitabook den Patienten seit Jahren an, rechtzeitig Wiederholungsrezepte beim Arzt zu bestellen. Hinzu komme ein finanzieller Bonus für die Patienten, der offenbar von der liefernden Apotheke und von der Pharmaindustrie finanziert wird. Die Arzneimittelhersteller würden profitieren, weil die bessere Adhärenz der Patienten die Umsätze erhöhe. Der Vermittlungsvorgang finde bereits statt, bevor ein Rezept existiere, erklärte Bönig. Darum falle dies nicht unter ein künftiges Verbot des Makelns von Rezepten, nicht unter die Arzneimittelpreisverordnung und nicht unter ein mögliches Boni-Verbot. Zudem handle vitabook im Auftrag des Patienten und sei im Gegensatz zu Arzt, Apotheker und Krankenkasse sonst kein Beteiligter des Systems. Über die rechtlichen Aspekte wurde daraufhin beim Zwischenahner Dialog nicht weiter diskutiert. Bönig betonte, dass Pflegeheimpatienten die Hauptzielgruppe sind, weil die Arbeit der Pflegeheime erleichtert werde.

Zeitersparnis für Ärzte?

Dr. Uwe Lankenfeld, Landesverband Niedersachsen des Deutschen Hausärzteverbandes, stellte Möglichkeiten der Telemedizin in der Hausarztpraxis vor. Neben Projekten mit Heimen und Pflegediensten betonte er die Verknüpfung der Telemedizin mit der „Versorgungsassistentin in Hausarztpraxen“ („Verah“). Da dies seine Assistentin sei, die in seiner Verantwortung tätig werde, könne er sie gut einschätzen. Bei Bedarf könne sich der Arzt telemedizinisch zuschalten und so auch dem Patienten präsentieren. Nachteile seien die schlechte Internetversorgung auf dem Land und die Kosten für die Ausstattung. Da keine Krankenkasse die Abrechnung übernehme, werde die Technik nach der Pilotphase nicht mehr genutzt. Insgesamt sähen die meisten Ärzte in der Telemedizin derzeit noch eher Nachteile, weil Anreize fehlen würden. Lankenfeld betonte, dass zusätzliche Videosprechstunden mit anderen Aufgaben um die knappe Zeit des Arztes konkurrieren. Dagegen zeigte sich in der Diskussion, dass die wesentliche Zeiteinsparung durch „Verah“ unabhängig von der Digitalisierung ist. Zum Ansatz, ärztliche Spezialisten mit der Telemedizin zu vernetzten, erklärte Glied „just in time, just in place“, funktioniere mit stark eingespannten Ärzten nicht. Dafür sei ein Pool an verfügbaren Ärzten in einer parallelen Versorgungsstruktur nötig.

Dr. Daniel Overheu, Ärztlicher Leiter Telemedizin, Uniklinik Oldenburg, beschrieb die Notfallversorgung für Schiffe und die Offshore-Industrie. Die Zentrale in Oldenburg muss bei einem Notruf sofort entscheiden, ob ein Rettungshubschrauber auf den weiten Weg geschickt wird. Bis zum Eintreffen eines Notarztes vor Ort leitet die Zentrale den Rettungssanitäter an und stützt sich dabei auf die übermittelten Patientendaten. Aus der erfolgreichen Arbeit mit Rettungssanitätern könnten auch Konsequenzen für die Notfallversorgung an Land gezogen werden, erklärte Overheu. Das Projekt mit Gemeinde-Notfallsanitätern im Raum Oldenburg zeige, dass eine Instanz unterhalb von Rettungswagen und Notarzteinsatz hilfreich sei. Viele Menschen könnten ihre Situation nicht selbst einschätzen und würden die Notfallambulanzen überfüllen. Es sei besser, wenn sich „jemand kümmert“ und den Fall einschätzt.

Digitalisierung wofür?

Der Moderator der Veranstaltung, ABDA-Pressesprecher Dr. Reiner Kern, sprach als Fazit von einer starken Aufbruchstimmung mit einer schnelleren Gesetzgebung als sonst. Insgesamt war beim Zwischenahner Dialog viel über positive Beispiele und wenig über unerwünschte Effekte der Digitalisierung zu hören. Allerdings mahnte Groeneveld, die Digitalisierung könne nur ein Mittel zum Zweck sein. Groeneveld fragte: „Welches Problem wollen wir eigentlich lösen?“ Vieles sei nur „Convenience für die Patienten“. Das Ziel müsse sein, die Zeitressourcen der Heilberufler besser zu nutzen.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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