Für die Arzneimittelbranche

BAH warnt erneut vor weitreichenden Folgen des Brexit

Remagen - 20.10.2017, 14:15 Uhr

Der Brexit wird die ganze Branche beeinträchtigen, warnt der BAH. (Foto: dpa)

Der Brexit wird die ganze Branche beeinträchtigen, warnt der BAH. (Foto: dpa)


Was nach dem Ausscheiden von Großbritannien aus der EU passieren wird, weiß niemand. Klar zu sein scheint jedoch, dass mit dem Brexit auf die Arzneimittel-Hersteller vor allem in den Bereichen Im- und Export, klinische Studien sowie bei der Wahl des Firmensitzes weitreichende Änderungen zukommen werden. Darauf weist der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) heute mit Nachdruck hin.

Großbritannien wird zum 30. März 2019 aus der EU ausscheiden und damit für die EU-Mitgliedstaaten zu einem Drittland werden. Vor dem Hintergrund der heutigen Gespräche der EU-Staats- und Regierungschefs zu dem Thema meldet sich der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) in Bonn zu Wort. Der Verband appelliert an die politisch Verantwortlichen, pragmatische Lösungen zu finden. Die Arzneimittelindustrie sei gut beraten, sich schon jetzt auf den Brexit vorzubereiten, sagt Elmar Kroth, Geschäftsführer Wissenschaft beim BAH.

Größere Beeinträchtigungen erwartet Kroth beim Im- und Export von Arzneimitteln. 2016 hätten deutsche Arzneimittel-Hersteller laut Destatis Waren im Wert von 6,3 Milliarden Euro nach Großbritannien exportiert und im Wert von 2,2 Milliarden Euro importiert. Nach dem Brexit müssten Unternehmen, die Wirkstoffe oder Arzneimittel dorthin ein- oder ausführen möchten, zusätzliche Zertifikate und Unterlagen vorlegen. „Sollte es keine gegenseitige Anerkennung der Zertifikate geben, rechne ich mit Exportausfällen und Handelsverzögerungen“, warnt er. Arzneimittel-Hersteller müssen sich zudem auf teure Doppelstrukturen gefasst machen, denn wer seinen Firmensitz in der EU habe und nach dem Brexit nach Großbritannien exportieren wolle, müsse künftig auch dort eine Niederlassung eröffnen. 

Problem auch bei klinischen Prüfungen

Mit gravierenden Folgen rechnet der BAH-Geschäftsführer Wissenschaft auch für klinische Prüfungen in der EU. Hierzu werde voraussichtlich 2019 die neue Verordnung in Kraft treten, auf die sich alle EU-Staaten inklusive UK geeinigt haben. Ob Großbritannien das gemeinsam erarbeitete Verfahren nach dem Brexit allerdings auch anerkennen werde, sei derzeit noch offen. Falls nicht, wären laufende klinische Prüfungen nicht mehr rechtsgültig. Im Zweifelsfall müssten Hersteller neue Genehmigungen beantragen, damit die Studien fortgeführt werden können, so Kroth.

Britische Expertise bei der EMA fällt weg

Neben diesen Problemen liegt der Industrie aber auch die Entscheidung über den neuen Standort der EMA und der Umzug selbst im Magen. Die Entscheidung darüber, die im November fallen soll, wird mit Spannung erwartet. Hierdurch wird die Agentur auf wichtige britische Expertise verzichten müssen. Zwar stellt Großbritannien derzeit nur ca. 6,8 Prozent des Personals vor Ort, etwas mehr als Deutschland, aber deutlich weniger als die Franzosen, Italiener und Spanier (jeweils etwa 13 Prozent bzw. 11,6 Prozent) und zur Leitungsebene mit 30 Personen gehören drei Briten. Die britische Arzneimittelbehörde MHRA hat aber von jeher eine wichtige Rolle in der Koordinierung europäischer Verfahren gespielt. Hierzu gehört die federführende Funktion als Berichterstatter (Rapporteur) oder Mitberichterstatter (Co-Rapporteur) in Zulassungs- und Pharmakovigilanz-Verfahren. Hier waren die Briten im Vergleich mit anderen Mitgliedstaaten in den letzten Jahren stets recht weit oben im Ranking zu finden.

In europäischen Verfahren keine Federführung mehr 

Die EMA bereitet sich schon seit einiger Zeit durch einen „Business Continuity Plan“ akribisch auf die Umstellungen durch den Brexit vor. Dennoch werden Verwerfungen in der Arbeit der „höchstrangigen“ Arzneimittelagentur in der EU wohl nicht zu verhindern sein. Schon jetzt wirkten sich diese auch auf die Entscheidungsprozesse von Anbietern aus Drittstaaten aus, hatte der Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Diapharm Ralf Sibbing bei der CPhI China im Juni 2017 in Shanghai berichtet.

So sei Großbritannien schon jetzt nicht mehr geeignet als Rapporteur für neue Arzneimittelzulassungen im zentralen Zulassungsverfahren oder Koordinator bei dezentralen oder Anerkennungsverfahren. Man habe zwar angekündigt, die geltende EU-Gesetzgebung zunächst zu übernehmen und erst später an eigene Vorstellungen anzupassen, doch sei noch unklar, ob diese Ankündigung auch für behördliche Entscheidungen beispielsweise über Arzneimittel gelte.  

European Union (Withdrawal) Bill ausgebremst

Hier scheinen Zweifel in der Tat angebracht. In dieser Woche hat die britische Regierung die Debatte über das wohl wichtigste Brexit-Gesetz bereits zum zweiten Mal verschoben. Sie werde frühestens Mitte November beginnen, schreibt die „Zeit“. Die sogenannte European Union (Withdrawal) Bill sei äußerst umstritten. Würde das Gesetz verabschiedet, so würden zum Zeitpunkt des EU-Austritts Zehntausende EU-Verordnungen in britisches Recht überführt werden. Dies soll für rechtliche Kontinuität sorgen. Jedoch würde es das Gesetz Ministern auch erlauben, einzelne Gesetze zu ändern oder zu streichen, und das ohne Zustimmung des Parlaments. Labour, die Liberaldemokraten und die schottische SNP hätten klar gemacht, dass sie deswegen gegen den Gesetzesentwurf stimmen würden. Einigen konservativen Abgeordneten gingen die Befugnisse ebenfalls zu weit. Eigentlich hätten sich die Abgeordneten in London diese Woche weiter mit dem wichtigsten Gesetz befassen sollen, wurden aber durch mehr als 300 Änderungsvorschläge der Abgeordneten und Vorschläge für 54 neue Artikel ausgebremst. Diese müssten nun alle geprüft werden, sagte Andrea Leadsom, die als Leader of the House of Commons den Sitzungsverlauf festlegt. 



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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