Gesundheitsnetzwerk ohne Apotheker

AOK auf der E-Health-Überholspur

Berlin - 10.10.2017, 12:45 Uhr

Eigene E-Health-Ideen: Der AOK-Bundesverband hat gemeinsam mit der AOK Nordost eine eigene digitale Patientenakte und einen eigenen e-Medikationsplan entwickelt, Apotheker sind vorerst nicht dabei. (Screenshot: AOK)

Eigene E-Health-Ideen: Der AOK-Bundesverband hat gemeinsam mit der AOK Nordost eine eigene digitale Patientenakte und einen eigenen e-Medikationsplan entwickelt, Apotheker sind vorerst nicht dabei. (Screenshot: AOK)


Der AOK-Bundesverband ist mit dem Status Quo beim Thema E-Health unzufrieden und schafft nun eigene Fakten: In zwei Modellregionen testet das AOK-System ein sogenanntes Gesundheitsnetzwerk, bei dem sich Ärzte, Kliniken und Patienten digital vernetzen. Auch der Medikationsplan ist Teil des Netzwerkes – diesen sollen aber nur Ärzte und die Patienten selbst aktualisieren dürfen, die Apotheker sind bislang draußen.

Der AOK-Bundesverband will sich mit dem derzeitigen Tempo bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen nicht zufriedengeben. In den vergangenen 16 Monaten hat der Verband daher gemeinsam mit der AOK Nordost (Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern) das sogenannte AOK-Gesundheitsnetzwerk entwickelt. Kern des Netzwerkes ist eine digitale Vernetzung zwischen niedergelassenen Ärzten, Kliniken und Patienten. Jeder teilnehmende Patient soll eine digitale Patientenakte erhalten, die alle Behandlungsdokumente enthält und die er selbst einsehen kann. Und auch die Heilberufler sollen untereinander leichter Dokumente austauschen können.

Der Verband will die einzelnen Teile des Gesundheitsnetzwerkes nun in zwei Modellregionen testen. Ab November 2017 sind in Mecklenburg-Vorpommern zwei Krankenhäuser und ein Arztnetz mit 45 Niedergelassenen angebunden. Laut AOK kommen etwa 8000 AOK-Versicherte für diesen Pilot infrage. Von der digitalen Patientenakte sollen in Mecklenburg-Vorpommern die folgenden Module getestet werden: das Aufnahme- und Entlassmanagement, der Dokumentenaustausch zwischen Kliniken und Ärzten, die Möglichkeit der Patienten, Dokumente wie etwa einen Mutterpass hochzuladen, sowie die Möglichkeit der Patienten, mit Fitness-Trackern erhobene Vitaldaten in die Akte einfließen zu lassen.

Ab dem 1. Januar 2018 steht dann das zweite Modellprojekt in Berlin an. Hier sind die beiden Klinikgruppen Vivantes und Sana mit insgesamt neun Krankenhäusern beteiligt. Hinzu kommen 13 Medizinische Versorgungszentren (MVZ) – laut AOK kommen in Berlin etwa 114.000 Versicherte für eine Teilnahme infrage. In der Hauptstadt sollen die folgenden Module der digitalen Patientenakte zum Einsatz kommen: ein digitaler Medikationsplan, die Bereitstellung von Labordaten durch die beteiligten Ärzte sowie die Möglichkeit zur Terminvereinbarung mit Kliniken und Ärzten. An dem Medikationsplan des Gesundheitsnetzwerkes sind ausdrücklich nur die Ärzte beteiligt. Was das OTC-Wissen betrifft, weist die AOK darauf hin, dass die Patienten entsprechende Informationen selbst in den Plan übertragen können.

AOK mit eigenem Medikationsplan, Apotheker kommen später dazu

Auf Nachfrage von DAZ.online stellte ein AOK-Sprecher klar, dass im Gesundheitsnetzwerk nicht auf den bundeseinheitlichen Medikationsplan zurückgegriffen werde, der derzeit in Papierform abrechenbar ist. Gemeinsam mit Ärzten und Kliniken hatte der Deutsche Apothekerverband an diesem bundeseinheitlichen Plan mitgewirkt. Für ihr Projekt entwickle die AOK derzeit aber einen eigenen Plan, der sich am bundeseinheitlichen Medikationsplan orientiere. Einzelheiten zur Struktur dieses Planes wollte der Sprecher noch nicht verraten.

Zur Frage, warum zum Start in den beiden Modellregionen keine Apotheker beteiligt werden, erklärte der Sprecher: „Wir wollen möglichst schnell und schlank starten und binden daher zunächst nur die Kliniken und niedergelassenen Ärzte in das Projekt ein. Andere Leistungserbringer sollen aber Schritt für Schritt dazukommen – auch die Apotheker.“ Die Idee, dass Patienten den Plan selbst ergänzen dürfen, verteidigt der Verbandssprecher und sagte: „Generell sind wir der Meinung, dass die stärkere Einbeziehung der Patienten in die Behandlung und in medizinische Entscheidungen durch den Einblick in die eigenen Gesundheitsdaten und Dokumente in einer digitalen Patientenakte gestärkt werden kann.“

Scharfe Kritik an der gematik

Christian Klose, beim AOK-Bundesverband Projektleiter für das Gesundheitsnetzwerk, erklärte bei der Vorstellung des Netzwerkes am heutigen Dienstag in Berlin zum Thema Datenschutz: „Bei der Entwicklung haben wir selbstverständlich die aktuellen IT-, Sicherheits- und Datenschutz-Standards berücksichtigt. Ein besonderes Merkmal des AOK-Gesundheitsnetzwerkes ist die dezentrale Datenhaltung: Die Gesundheitsinformationen der Versicherten werden nicht zentral gespeichert, sondern bleiben bei demjenigen, der sie erhoben hat. Zentral  vorhanden ist nur die Information, bei welcher Klinik oder bei welchem niedergelassenen Arzt Daten vorhanden sind und wer darauf zugreifen darf.“ Die Kasse selbst speichere keine Daten. Zudem könnten die teilnehmenden Patienten jederzeit selbst entscheiden, welcher Arzt welche Dokumente digital zur Verfügung gestellt bekommt.

Die AOK sieht sich in ihrem Vorgehen durch eine eigens in Auftrag gegebene Umfrage gestärkt. Eine Befragung des Institutes YouGov hatte ergeben, dass 82 Prozent der befragten GKV-Versicherten es für sinnvoll erachten, dass medizinische Daten in einer digitalen Gesundheitsakte gespeichert werden, sodass Ärzte in der Praxis und im Krankenhaus diese abrufen und sich einen Überblick über den Gesundheitszustand des Patienten verschaffen können.78 Prozent der Befragten würden eine solche digitale Gesundheitsakte auch selbst nutzen.

Litsch: Die gematik ist gescheitert

Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes, übte bei der Vorstellung schwere Kritik am Fortschritt der Selbstverwaltung im Bereich E-Health. Litsch ist der Meinung, dass die in der gematik vertretenen Akteure den Digitalisierungsprozess nicht mehr vorantreiben können und sich gegenseitig blockieren. Zur Erklärung: In der Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte (gematik) sitzen Ärzte, Apotheker, Krankenhäuser und Krankenkassen gemeinsam, unter anderem, um die Telematikinfrastruktur aufzubauen, also eine digitale Kommunikationsstruktur zu entwickeln. Andere Projekte sind der digitale Medikationsplan, das e-Rezept und die elektronische Gesundheitskarte. Die gematik gibt es seit 2005, ihre Ergebnisse und die Arbeitsprozesse stehen immer wieder in der Kritik.

Litsch, der mit dem AOK-Bundesverband selbst in der gematik mitwirkt, erklärte dazu am heutigen Dienstag: „Aus unserer Sicht sind die Entscheidungsstrukturen in der gematik gescheitert. Die Vorteile, die eine Vernetzung im Gesundheitswesen bringen kann, werden durch diese nicht funktionierenden Strukturen immer wieder konterkariert. Um die Blockaden aufzulösen, müssen wir weg von der gemeinsamen Selbstverwaltung in der gematik.“ Vielmehr brauche es eine unabhängige Institution, eine Art „Bundesnetzagentur“ für das Thema E-Health. Diese Agentur solle die Leitplanken setzen, innerhalb derer die Akteure ihre Digitalisierungsprojekte entwickeln können.

Trotzdem hat die AOK eigenen Angaben zufolge darauf geachtet, dass das Gesundheitsnetzwerk an die Telematikinfrastruktur der gematik anschließbar ist. Mit Absicht habe man sich für zwei regionale Pilotprojekte entschieden, so Litsch. Denn auch bei der weiteren Ausarbeitung des Netzwerkes sollen sich die Möglichkeiten der digitalen Vernetzung immer an die jeweiligen regionalen Gegebenheiten anpassen. Heißt konkret: In Thüringen könnte die AOK Plus das Gesundheitsnetzwerk mit anderen Partnern und anderen Modulen umsetzen als die AOK Bayern bei sich in der Region.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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1 Kommentar

Innovative? AOK übernimmt lange bekanntes ABDA Konzept.

von Heiko Barz am 11.10.2017 um 11:23 Uhr

Diese von der "Gesundheitskasse" angestrebte Konzentration medizinisch gebundener Patientendaten ist per se nichts Falsches aber auch nichts Neues. Dieses System aber kann nur mit Hilfe der Apotheker funktionieren.
Die KKassen bedienen sich dabei schon seit vielen Jahren eines allerdings regional begrenzten - wie auch bekannt - mehr oder weniger erfolgreichen ABDA Models : ARMIN
Der Wert der Apotheken soll offensichtlich immer weiter herabgesenkt werden, um sie später ohne großen Widerstand in die ABHÄNGIGKEIT der GKVen zu zwingen!
Eins seht für mich fest: das dem E-Health angebundene E-Rezept wird der Niedergang der Deutschen Vor-Ort-Apotheke bedeuten. Die rezeptgeilen Hollandversender werden Alles in Bewegung setzen, um die elektronische Wege der Rezepte nach ihrem Gusto zu erzwingen. Warum eigentlich sind immer nur die Hollandversender, allen Deutschen Gesetzen zuwider, impertinent aggressiv medial am Ball?
Am Ball, da war doch noch was!

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