Keine Retax-Statistik

Kassen lassen sich nicht in die Karten schauen

07.04.2015, 14:20 Uhr

Nach Retax-Statistiken fragt man bei den Krankenkassen und ihren Verbänden vergeblich. (Foto: Sket)

Nach Retax-Statistiken fragt man bei den Krankenkassen und ihren Verbänden vergeblich. (Foto: Sket)


Berlin – Demnächst sollen der Deutsche Apothekerverband (DAV) und der GKV-Spitzenverband am Verhandlungstisch Lösungen für das Retax-Problem suchen. Aber bei beiden Spitzenverbänden liegen nach eigenen Angaben keine konkreten Daten zum Retax-Geschehen vor. DAZ.online hakte nach: Auch bei den Kassenarten-Verbänden gibt es keine Retax-Statistik. Und die einzelnen Kassen mauern weitgehend – sie wollen sich offenbar nicht in die Karten schauen lassen.

Nur die DAK-Gesundheit lüftete im DAZ-Interview kürzlich leicht den Retax-Schleier: Laut DAK-Chef Herbert Rebscher werden bei der DAK durchschnittlich 0,02 Prozent der eingereichten Belege retaxiert. Der Anteil der retaxierten Beträge am gesamten Abrechnungsvolumen betrage 0,13 Prozent. Ein besonders häufiger Grund sei die nicht rabattvertragskonforme Abgabe von Arzneimitteln.

Die beiden anderen großen Ersatzkassen, Barmer GEK und Techniker Krankenkasse (TK), verweigern die Antwort auf die DAZ.online-Anfrage: „Das ist Geschäftsgeheimnis“, hieß es bei der TK. Die Barmer GEK ließ erklären: „Die von Ihnen gewünschten Daten/Zahlen zum Retaxgeschehen werden von uns nicht zentral erfasst beziehungsweise aufbereitet.“ Sie verweist auf einen potenziellen anderen Ansprechpartner: „Gegebenenfalls werden Sie bezüglich Zahlen/Daten eher beim DAV oder den Landesapothekerverbänden fündig.“

Nicht nur Ersatzkassen, auch AOKs...

Nicht viel auskunftsfreudiger sieht es im AOK-Lager aus: „Leider können wir Ihnen hierzu aus datenschutz- und wettbewerbsrechtlichen Gründen keine Auskunft geben“, teilte nicht nur die AOK Hessen mit. „Die gewünschten Zahlen liegen uns leider nicht vor, wir haben dazu keine systematischen Auswertungen“, antwortete die AOK Nordwest. Die Rezeptprüfung erfolge durch Mitarbeiter der AOK Nordost, die über ein fundiertes Wissen der gesetzlichen- und vertraglichen Bestimmungen der Arzneimittelabrechnung verfügten. „In der Regel erfolgen Retaxationen nur aufgrund grober Verstöße“, teilte die Kasse mit. Im Zweifel suchten die Mitarbeiter das Gespräch mit den Apotheken, „um unklare Sachverhalte zu klären und somit unnötige Retaxationen zu vermeiden“. Diese praxisnahe Vorgehensweise spiegele sich auch in der Tatsache wider, dass „die AOK Nordost bisher keine Retaxationen bei der Nichterfüllung von Rabattverträgen vorgenommen“ habe. „Bitte haben Sie Verständnis, dass eine Darstellung der Retaxsummen sowie der Daten und Zahlen allerdings nicht möglich ist, da diese sich regelmäßig verändern und den allgemeinen Datenschutzbestimmungen unterliegen“, so die AOK Nordost.

Die AOK Baden-Württemberg beruft sich auf den zum 1. April 2015 in Kraft getretenen neuen Arzneimittelliefervertrag. Dieser enthalte „sehr viel dezidiertere Bestimmungen zur Apothekenretaxation“. So sei erstmals eine Liste von „geringfügigen Formfehlern“ aufgenommen worden, bei denen die AOK Baden-Württemberg keine Vollabsetzungen durchführen werde. Im Gegenzug seien aber auch gravierende Formfehler aufgelistet, die zu einer Vollabsetzung führen könnten. „Erfahrungen mit den neuen vertraglichen Bestimmungen liegen noch nicht vor“, so die Kasse – daher keine Statistik. Bei der AOK Niedersachsen verweist man darauf, dass das Thema Retax im Bundesgebiet und auch zwischen den einzelnen Krankenkassen sehr unterschiedlich gehandhabt werde. „Einen umfassenden Überblick haben wir daher leider nicht.“ Der Kasse lägen lediglich die „eigenen“ Zahlen vor, erklärte ein Sprecher – und die stufe man als wettbewerbsrelevant ein.

...und Innungskrankenkassen wenig auskunftsfreudig

Nicht anders sieht es bei den Innungskrankenkassen aus: Die IKK Brandenburg und Berlin (IKK BB) führten regelmäßige Prüfroutinen im Bereich der Apotheken durch. Retaxierungen bildeten hierbei nur einen von verschiedenen Faktoren ab, die überprüft würden. „Retaxierungen werden in diesem Zusammenhang bei der IKK BB nicht getrennt ausgewertet und gesondert statistisch festgehalten. Daher können wir Ihnen leider keine Daten und Zahlen konkret zum Retax-Geschehen zur Verfügung stellen“, so die Kasse, die dann allerdings doch ein paar Retax-Gründe anführt: „Beispiele für Retaxierungen bei der IKK BB sind unter anderem Taxbeanstandungen, die wegen falscher Preise entstehen. Das heißt, es werden statt vereinbarter Fest-, oder Vertragspreise beziehungsweise den Preisen einer Kostenübernahme, höhere Preise berechnet. Retaxierungen entstehen beispielsweise auch, wenn die Gebührenpflicht (Zuzahlung) nicht beachtet wurde oder wenn der Lieferzeitraum bei Dauerverordnungen, z.B. bei Inkontinenzartikeln aus Apotheken, überschritten wurde.“

Die IKK gesund plus retaxiert nach eigenen Angaben mit Umsicht und achtet darauf, „dass eine Überforderung einer Apotheke nicht entsteht“. Gemessen an den Gesamtausgaben für Arzneimittel werde nur „ein verschwindend geringer Anteil retaxiert“. Es fänden drei inhaltliche Prüfungen statt: Die Versichertenprüfung (Rezepte offensichtliche Irrläufer von Versicherten anderer Kassen?), die Taxprüfung (korrekter Preis?) und die pharma-fachliche Prüfung (formelle, in den Arzneilieferverträgen festgelegte Anforderungen an das Rezept beachtet?). „Detaillierte Werte habe ich dazu nicht“, so der Sprecher der IKK gesund plus und weiter: „Auch die IKK gesund plus verfolgt mit Interesse die derzeitigen Gesetzentwürfe und die Diskussionen dazu, weil dadurch mehr Rechtssicherheit für beide Seiten entstehen soll.“


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