Management

Auf Prävention setzen

Apotheken können wichtigen Beitrag leisten / Wo bleibt die Honorierung?

Der Ausbau von Präventionsmaßnahmen würde sich sehr positiv auf die Gesundheit der Bevölkerung auswirken – das ist allgemein bekannt. Hier gibt es auch ein weites Betätigungsfeld für die Apotheken: Mit verschiedenen aktiv angebotenen Leistungen können Apotheker entscheidend zur Vorbeugung von Krankheiten beitragen, die Sozialsysteme entlasten und gleichzeitig neue Kunden gewinnen. Diesen besonderen Einsatz gilt es, entsprechend zu honorieren.

„Bitte bleiben Sie gesund!“ – das haben wir besonders während der Corona-Pandemie tagtäglich gehört bzw. jedem gewünscht. Wir müssen uns ständig mit einer möglichst gesunden Lebensweise auseinandersetzen – eine gesündere Ernährung und mehr Bewegung gehören für viele zu den guten Vorsätzen, die sie für das neue Jahr gefasst haben. Denn durch die andauernde Corona-­Krise verbringen wir mehr Zeit denn je zu Hause und vor Bildschirmen. Immer mehr Menschen fühlen sich durch den Bewegungs­mangel, das Fehlen von Sozialkontakten und die zunehmende Digitalisierung gestresst. Auch haben sich so manche ungesunde Ernährungsgewohnheiten durch die Zeiten von Homeoffice und Homeschooling eingeschlichen. Hier gilt es, rechtzeitig gegenzusteuern und aktiv etwas für die eigene Gesundheit zu tun – denn vorbeugen ist immer besser als heilen. Apothekenmitarbeiter können sich durch ihre kompetente Beratung zu einer gesünderen Lebensweise im Kampf gegen zunehmende Zivilisationskrankheiten engagieren und dadurch als Heilberufler zum Wohl ihrer Mitmenschen beitragen.

Heilberuflicher Auftrag

Apotheker genießen in der Gesellschaft ein besonders großes Vertrauen und können aktiv das Gesundheitsbewusstsein ihrer Mitmenschen stärken. In der kürzlich aktualisierten Neufassung des Perspektivpapieres der ABDA „Apotheke 2030 – Perspektiven zur pharmazeutischen Versorgung in Deutschland (2.0)“ heißt es, dass öffentliche Apotheken für alle Stadien der Prävention aktiv Leistungen und Programme anbieten und so entscheidend zur Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung und Entlastung der Sozialsysteme beitragen können. Die Standesvertretung setzt sich dafür ein, dass das Potenzial der Apotheken im Bereich der Gesundheitsvorsorge stärker abgerufen und zu einer tragenden Säule der Prävention werden soll. Weiterhin wird gefordert, dass der Anspruch der Versicherten auf entsprechende Leistungen endlich gesetzlich verankert wird. Hier verbirgt sich zukünftig eine große Chance für Apotheken. Denn: Als unmittelbare Ansprech­partner der Menschen vor Ort sind Apothekenmitarbeiter in der Lage, einen ungesunden Lebensstil zu identifizieren, chronische Krankheiten frühzeitig zu erkennen und den Patienten individuelle Vorschläge zur Prävention zu machen. Besonders wichtig ist es, auch Menschen zu erreichen, die bisher kein oder wenig Interesse an Prävention hatten. Denn häufig nehmen gerade diejenigen an Präventionsmaßnahmen teil, die ohnehin schon ein ausgeprägtes Gesundheitsbewusstsein haben.

Apotheker als Gesundheitsberater

Präventionsangebote in Apotheken bieten einige Vorteile gegenüber den zum Teil bestehenden Vorsorgeprogrammen der Krankenkassen – nicht zuletzt durch den persönlichen Kundenkontakt. Eine direkte Vergütung für Präventionsleistungen in Apotheken wird schon seit Jahren von Apothekerseite gefordert, denn im Gegensatz zu anderen Ländern werden Apotheker hierzulande leider immer noch nicht für Vorsorgeberatungen entlohnt. Dabei sind Präventionsmaßnahmen besonders für chronisch Kranke wichtig, die bereits auf Arzneimittel angewiesen sind, damit sich ihr Gesundheitszustand nicht weiter verschlechtert. Wie hoch der Stellenwert der Prävention in dieser Zielgruppe ist, zeigt eine im Sommer 2021 durchgeführte Umfrage des Meinungsforschungsunternehmens Forsa im Auftrag der ABDA unter 12.000 Teilnehmern, darunter 3000 Patienten mit Mehrfach­medikation (s. auch www.abda.de/aktuelles-und-presse/pressemitteilungen vom 12. Juli 2021). Dabei forderten ca. 40 Prozent der Befragten mit Mehr­fachmedikation Präventions­angebote aus ihrer Apotheke. Die Blutdruckmessung ist demnach ein häufig genutztes Präventions­angebot. Jeder Dritte könnte sich zudem vorstellen, Blutfettwerte in der Apotheke bestimmen zu lassen. Werden Apotheker als „aktive Gesundheitsberater“ wahrgenommen, so spricht sich das schnell herum und führt idealerweise zu einigen Neukunden.

Foto: dusanpetkovic1/AdobeStock

Persönliche Gesundheitsberatung im Fokus Apotheker beraten längst individuell zu geeigneten Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge. Doch hier steckt noch viel Potenzial für die Zukunft des Apothekerberufs.

Tipps für Präventions­maßnahmen

Viele Aktionen zum Thema Prävention sind in den Apotheken relativ leicht und gut umsetzbar – sofern es denn die Personalsituation zulässt und die Corona-Pandemie hoffentlich bald weniger im Fokus steht. Wer für die eine oder andere Aktion Unterstützung benötigt, kann sich z. B. auf den Internetseiten des WIPIG (www.wipig.de) informieren. WIPIG ist das Wissenschaftliche Institut für Prävention im Gesundheitswesen der Bayerischen Landesapothekerkammer. Das WIPIG bietet Kammermitgliedern eine Vielzahl an Materialien an, z. B. ausgearbeitete Vorträge, Infobroschüren, Beratungsleitfäden, Plakate und sogar komplette Konzepte für verschiedene Gesundheitsaktionen.

Übergewicht und Adipositas

Die Zahl übergewichtiger Menschen nimmt nicht erst seit der Corona-Pandemie erschreckend zu. Seit 1980 hat sich die Zahl adipöser Personen weltweit verdoppelt und erstmals leben mehr über- als untergewichtige Menschen auf dieser Erde. Besonders alarmierend ist dabei die Zunahme stark übergewichtiger Kinder und Jugendlicher. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) sind zwei Drittel der Männer (67 Prozent) und die Hälfte der Frauen (53 Prozent) in Deutschland übergewichtig. Übergewicht und Adipositas sind Mitursache für viele Beschwerden und können die Entwicklung chronischer Krankheiten begünstigen. Aufgrund der steigenden Prävalenz und den damit verbundenen Folgeerkrankungen entstehen dabei beträchtliche Kosten für das Gesundheits- und Sozialsystem. Wissenschaftlich belegt ist, dass bei stark Übergewichtigen das Diabetes-, Herzinfarkt-, Schlag­anfall- und Krebsrisiko deutlich erhöht ist und auch Haltungs- bzw. Gelenkprobleme zunehmen. Daneben ist Übergewicht in vielen Fällen mit psychischen Beschwerden assoziiert. Hinzu kommt, dass manche Medikamente als Nebenwirkung eine Gewichtszunahme zur Folge haben.

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, sind Apotheker mit einer empathischen und kompetenten Ernährungsberatung gefragt, die als zusätzliche pharmazeutische Dienstleistung von der Politik finanziell unterstützt werden sollte. Denn die Folgen für die Gesellschaft wiegen schwer: Sowohl die medizinischen Behandlungskosten von adipösen Patienten aufgrund ihrer häufig chronischen Erkrankungen als auch die indirekten Folgekosten durch Arbeitsun­fähigkeit und Frühverrentung steigen immer mehr. Laut der Deutschen Adipositas Gesellschaft entfallen 8,4 Prozent der Gesundheitsausgaben in den OECD-Ländern auf die Behandlung von Krankheiten, die mit Adipositas in Zusammenhang stehen. Der OECD-Studie „The Heavy Burden of Obesity – The Economics of Prevention“ (2019) zufolge verursacht Adipositas in den OECD-Ländern ca. 70 Prozent der Kosten zur Diabetesbehandlung und 23 Prozent der Behandlungskosten bei Herzkreislauferkrankungen. Neben einer Sondersteuer auf zuckerhaltige Getränke oder der Beschränkung der Werbung für Dickmacher wie Süßigkeiten oder Junkfood tragen gezielte Präventionsangebote in Apotheken sicherlich zur Vermeidung vieler chronischer Erkrankungen bei.

Diabetes in Schach halten

Typ-2-Diabetes ist ein wachsendes Gesundheitsproblem weltweit. Diabetische Komplikationen und Begleiterkrankungen verursachen hohe Kosten im Gesundheitssystem, die sich durch gezielte Präventionsangebote und die richtige medikamentöse Einstellung möglichst vieler Diabetiker signifikant verringern ließen. Im Rahmen einer Studie wurde von Oktober 2012 bis Januar 2014 in 40 Apotheken in Bayern analysiert, inwiefern die Teilnahme an dem Präventionsprogramm „GLICEMIA“ zur Reduktion des Risikos für Typ-2-Diabetes führt. Die Ergebnisse zeigten eindrucks­-voll die Effektivität dieser gezielten Präventionsmaßnahmen (Schmiedel et al. Diabetes Care 2015;38(5):937–939). Darauf aufbauend entstand die Idee, zukünftig Diabetespatienten mit einem strukturierten Präventionsprogramm durch speziell geschulte Apotheker zu betreuen. Die in Zusammenarbeit des Pharmazeutischen Instituts der Universität Mainz und des WIPIG entstandene GLICEMIA-2.0-Studie verdeutlichte kürzlich, dass Patienten mit Diabetes mellitus einen wesentlich besseren HbA1c-Wert und weniger Gewicht erreichen können, wenn sie durch Apotheken mit einem gezielten Programm unterstützt werden (s. DAZ 2021, Nr. 29, S. 32). Die Initiatoren der Studie sind sich einig, dass mit diesem relativ preiswerten Präventionsprogramm hohe Folgekosten durch Diabetes-Spätschäden vermieden werden können. Wünschenswert wäre daher, dass solche Angebote im Rahmen der neuen pharmazeutischen Dienstleistungen zukünftig dauerhaft honoriert werden könnten.

Auch kanadische Wissenschaftler berichteten vor Kurzem in der Fachzeitschrift „Nature communications“, dass Apotheken eine Ernährungsumstellung bei übergewichtigen Diabetikern erfolgreich begleiten und insbesondere in ländlichen Gebieten ein niederschwelliger Ansprechpartner für die Patienten sein können (s. auch Artikel vom 10. September 2021, Nature communications). In dieser Studie konnten sogar mehr als ein Drittel der Teilnehmer ihre Diabetes-Medikamente absetzen und ca. 17 Prozent erreichten einen optimalen Langzeit-Blutzuckerwert. Durch die regelmäßige Überwachung der Messwerte durch die Apotheker wurden gleichzeitig zu niedrige Blutzuckerwerte bzw. eine gefährliche Unterzuckerung vermieden.

Tabakfreies Deutschland

In Deutschland sterben jeden Tag etwa 350 Menschen an den Folgen des Tabakkonsums und jede fünfte neue Krebserkrankung ist durch Rauchen verursacht, so eine Pressemitteilung des Medizin- und Wissenschaftsbündnisses DANK – Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten vom 13. Dezember 2021. Wissenschaftler plädieren neben standardisierten Verpackungen und einem Verbot von Verkaufsautomaten für gezielte Aufklärungs- und Präventionsarbeit. Nur durch eine verbindliche ressortübergreifende Tabakkontrollstrategie sei das von der EU-Kommission ausgegebene Ziel erreichbar, wonach bis 2040 weniger als fünf Prozent der Erwachsenen Tabak konsumieren sollen. Die meisten Raucher ver­suchen den Rauchstopp zunächst ohne Hilfe, dabei kann professionelle Unterstützung – z. B. durch eine qualifizierte Beratung in der Apotheke samt den entsprechenden Präparaten – den Erfolg deutlich erhöhen; umfangreiche Materialien hierzu finden sich auch beim WIPIG (s. o.).

Auf Vorsorgeuntersuchungen hinweisen

Aus Angst vor einer Ansteckung im Wartezimmer beim Arzt sind während der Corona-Pandemie wesentlich weniger Menschen zu Vorsorgeuntersuchungen gegangen als sonst – auch wenn die Wichtigkeit regelmäßiger Vorsorgetermine von Fachleuten immer wieder betont wird. In Deutschland können sich Frauen und Männer im Laufe ihres Lebens kostenfrei z. B. auf verschiedene Krebs­arten untersuchen lassen. Aber noch immer wird beispielsweise Darmkrebs bei über 50 Prozent der Patienten erst im fortgeschrittenen Stadium entdeckt. Dabei könnte diese Krebsart mithilfe von Darmspiegelungen frühzeitig erkannt und häufig gut behandelt werden. Außerdem helfen regelmäßige Bewegung und eine aus­gewogene Ernährung, das Darmkrebsrisiko signifikant zu reduzieren. Die Kunden darauf hinzuweisen, auf eine gesunde Lebensweise zu achten und rechtzeitig die empfohlenen Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen, ist eine weitere wichtige Aufgabe für Apotheker in Sachen Prävention. Beispielsweise könnte im „Darmkrebsmonat März“ mit Infomaterialien und einer gezielten Ansprache an rechtzeitige Vorsorgeuntersuchungen erinnert werden.

Für Apotheker ist es wichtig zu wissen, dass auch die Zahl der Darmkrebserkrankungen im jungen Erwachsenenalter zunimmt – ebenso wie der Anteil übergewichtiger und fettleibiger junger Menschen. Ob es einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Beobachtungen gibt, war allerdings bislang nicht bekannt. In einer aktuellen Studie konnten Wissenschaftler vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg nun zeigen, dass das Risiko einer frühen Darmkrebs­erkrankung bei übergewichtigen jungen Menschen im Vergleich zu normalgewichtigen Alters­genossen deutlich erhöht ist (s. auch Pressemitteilung DKFZ vom 11. Januar 2022).

Apothekerkammern bieten Weiterbildungen an

Bereits im Jahr 2008 haben sich die Apothekerkammern auf Inhalte einer Weiterbildung im Bereich „Prävention und Gesundheits­förderung“ verständigt. Voraus­setzung dafür ist, dass der Apothekerberuf ausgeübt wird. Während der zwölfmonatigen Weiterbildungszeit werden 80 Seminarstunden absolviert, zusätzlich ist eine Projekt­arbeit anzufertigen. Zudem gibt es eine Weiterbildung zum Thema „Ernährungsberatung“. Voraus­setzung ist auch hier, dass der Apothekerberuf ausgeübt wird. Während der zwölfmonatigen Weiterbildungszeit werden 100 Seminarstunden absolviert. Zur abschließenden Prüfung müssen die Ernährungsanalyse, die Ernährungsempfehlung und ein kurzer Erfahrungsbericht über die Patientengespräche, die während der Weiterbildungszeit durchgeführt wurden, schriftlich vorliegen. Zudem führen Apothekerkammern in Zusammenarbeit mit den Regionalgesellschaften der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) zertifizierte Intensiv-Fortbildungen zum Thema Diabetes durch.

Ansprechpartner sind jeweils die zuständigen Apothekerkammern oder die Bundesapothekerkammer.

Mit Prävention Kosten sparen

Konsequent auf Präventionsmaßnahmen zu setzen, kann viele Kosten im Gesundheitssystem einsparen. Denn durch gezielte Vorbeugung lassen sich chronische Krankheiten vermindern und damit teure Krankenhausaufenthalte vermeiden. So kann die verstärkte Nutzung relativ preiswerter Präventionsdienste (z. B. Screening, Diagnose und Behandlung von Diabetes, Bluthochdruck und Hyperlipidämie sowie Screening auf Brust- und Darmkrebs) den späteren Bedarf an teuren Behandlungen (z. B. bei Myokardinfarkt, Schlaganfall oder Krebs) deutlich verringern. Ein Gesetz zur Stärkung der Gesundheits­förderung und der Prävention (Präventionsgesetz – PrävG) trat bereits im Juli 2015 in Kraft und sollte u. a. die Grundlagen für die Zusammen­arbeit von Sozial­versicherungs­trägern, Ländern und Kommunen in den Bereichen Prävention und Gesundheits­förderung für alle Altersgruppen und in vielen Lebensbereichen verbessern (siehe auch www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/p/praeventionsgesetz).

Einige Krankenkassen bieten für ihre Versicherten einen Bonus an, wenn sie sich gesundheitsbewusst verhalten, Vorsorgeuntersuchungen regelmäßig wahrnehmen, sportlich aktiv sind oder an einem Präventionskurs teilnehmen. Auch Arbeitgeber, die in ihren Unternehmen betriebliche Gesundheitsförderung durchführen, können eine entsprechende Bonuszahlung von den Krankenkassen erhalten. So wird gesundheitsbewusstes Verhalten verstärkt belohnt. Ärzte haben die Möglichkeit, bei Risikofaktoren oder individuellen Belastungen geeignete Präventionsempfehlungen auszustellen und damit zum Erhalt und zur Verbesserung der Gesundheit ihrer Patienten beizutragen – hierbei können Apotheker gut unterstützen. So kann z. B. eine umfassende Medikationsanalyse als zukünftige pharmazeutische Dienstleistung in Apotheken durch passende Präventionsangebote ergänzt werden – und damit zum Alleinstellungsmerkmal gegenüber der Konkurrenz werden. Bleibt zu hoffen, dass die Krankenkassen und die Politik den enormen Nutzen und die längerfristig einzusparenden Kosten der präventiven Betreuung durch Apotheker bald erkennen. |

Apothekerin Dr. Irina Treede, Heidelberg

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