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Management

Patientensicherheitskultur

Über den richtigen Umgang mit Fehlern in der Apotheke

Kennen Sie diese Worte, denen das Unheil auf dem Fuß zu folgen scheint? Wie beispiels­weise: „Da wird sich die Kollegin sicher etwas bei gedacht haben“ oder „Wird schon passen“. Falls die Kollegin aber doch etwas übersehen hat und „es“ nicht passt, wird in der Apotheke in den meisten Fällen die Sicherheit eines Kunden gefährdet. Der Umgang mit Arzneimitteln ist mit Risiken behaftet; um diese auf ein Minimum zu re­duzieren, braucht es eine Unternehmenskultur, die die Sicherheit des Patienten in den Fokus rückt.

Das APS-Weißbuch Patientensicherheit, herausgegeben vom Aktionsbündnis Patientensicherheit, gilt als Wegweiser für die zentrale Verbesserung der Patientenversorgung (siehe Literaturtipp). Unter den aufgeführten wichtigen Faktoren für eine gelingende Patientensicherheitskultur scheinen in der Apotheke besonders relevant:

  • eine Führung, die der Kunden­sicherheit einen hohen Wert bemisst,
  • eine gute Gesprächs- und Feedback-Kultur im Team,
  • Besprechungen von patienten­relevanten Ereignissen.

Das erscheint erst einmal selbstverständlich und würde wahrscheinlich jeder Apotheker so unterschreiben, aber würden diese Aussagen auch dem Praxistest standhalten? Würde z. B. jeder Mitarbeiter seine Fehler mitteilen, um sie schnellstmöglich auszu­räumen, oder doch lieber für sich behalten, weil er Angst vor Konsequenzen hat? Bereits an dieser Stelle können die guten Vorsätze ins Wanken geraten.

Literaturtipp

M. Schrappe

APS-Weißbuch Patientensicherheit – Sicherheit in der Gesundheitsversorgung: neu denken, gezielt verbessern

Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2018

ISBN 978-3-95466-410-8

Das APS-Weißbuch Patientensicherheit, herausgegeben vom Aktionsbündnis Patientensicherheit, steht unter folgendem Link kostenfrei zum Download zur Verfügung: https://www.aps-ev.de/aps-weissbuch/

Stolperstein 1: Ein Fehler tritt auf

Ein Fehler tritt auf und damit eine Gefährdung der Patientensicherheit. Auch wenn wir uns noch so sehr bemühen, irgendwann passiert er doch – der Fehler. Schließlich sind wir auch nur Menschen. Dabei hat jeder Mensch seine eigene Art, mit Fehlern umzugehen. Die Bandbreite der Reaktionen reicht von offen ansprechen oder möglichst schnell ausbessern über übersehen oder es jemand anderem unterschieben bis hin zur Vertuschung. Der eine nimmt sich einen Fehler sehr zu Herzen, der andere nimmt ihn eher auf die leichte Schulter.

Natürlich sollte der Fehler zügig korrigiert werden. Es gilt herauszufinden, wer alles betroffen ist, wie stark die Konsequenzen des Fehlers sind, welcher Schaden entstanden ist, und dementsprechend zu handeln.

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Vier Augen sehen mehr als zwei Damit Zweifelsfälle nicht zum Risiko für die Patientensicherheit werden, ist es oft sinnvoll, sich mit Kollegen auszutauschen. Denn auch wenn man ganz bei der Sache ist, können Fehler passieren.

Stolperstein 2: Das Führungskräfte-Dilemma

Meist liegt es dann an der Führungskraft, passend mit dem Fehler (von kleinen, persönlichen Unaufmerksamkeiten abgesehen) umzugehen. Die Schwere des Fehlers ist abzuwägen, die ggf. ungünstigen Umstände und das Verhalten des Mitarbeiters. Oft entsteht ein innerliches Ringen um die optimale Reaktion. Auf der einen Seite steht die Sorge um die vertrauensvolle Kultur, in der jeder seine Fehler mitteilt und die verloren geht, wenn jemand angeprangert wird. Auf der anderen Seite ist nicht jedes Verhalten tolerabel und der Mitarbeiter muss für sein Handeln Ver­antwortung übernehmen. Das Dilemma lässt sich etwas besser klären, wenn die Führungskraft nicht die Benennung des Schuldigen in den Fokus stellt, sondern das Verbesserungsmanagement und das Lernen, welches durch den Fehler möglich wird.

Dabei ist zudem klar: Steht die Suche nach dem Schuldigen und dessen Bestrafung (Blame Culture) im Mittelpunkt, können – sobald ein Schuldiger gefunden ist – alle anderen Mitarbeiter den Fehler als persönliche Schwäche eines Einzelnen deklarieren. Es findet keine Auseinandersetzung, kein Lernen statt. Die Vertuschungsrate nimmt in so einer Kultur zu, weil die Angst vor beruflichen Sanktionen wächst. Unter dem Einfluss von Druck und Angst passieren leichter Fehler, was eine gute Basis für die Patientensicherheit noch weiter untergräbt.

Sucht die Führungskraft dagegen den Fehler ausschließlich in mangelhaften Arbeitsabläufen, werden diese in der Folge zwar optimiert, aber der Faktor Mensch bleibt außen vor. Die Mitarbeiter verlieren unter Umständen ihre Eigenverantwortung, weil die „Schuld“ in der Arbeitsorganisation liegt.

Einen Mittelweg beschreibt das Konzept der „Just Culture“ von Sydney Dekker, einem Sicherheitsforscher und Piloten. Es geht ihm um einen gerechten Umgang mit menschlichen Fehlern in einer Kultur des Vertrauens, des Lernens und der Verantwortung. Der englische Begriff „just“ lässt sich in diesem Zusammenhang am besten mit „gerecht“ übersetzen. In einer Just Culture wird das Auftreten eines Fehlers differenziert betrachtet. Es wird geklärt,

  • unter welchen Umständen der Fehler passiert ist,
  • welche Mitarbeiter beteiligt waren,
  • ob die Mitarbeiter verantwortungsbewusst gehandelt haben,
  • ob die beteiligten Mitarbeiter einen ausreichenden Kenntnisstand und das nötige Fachwissen besaßen und
  • ob die vorliegenden Prozess­beschreibungen korrekt waren, eingehalten wurden und ob die Zuständigkeiten klar waren.

Darüber hinaus können noch andere Fragestellungen von Belang sein. Diese Recherche scheint auf den ersten Blick sehr aufwendig, bietet allerdings die Möglichkeit, den Fehler nicht nur zu beheben, sondern auch präventiv tätig zu werden und weitere unerwünschte Ereignisse zu verhindern.

Stolperstein 3: Die Gesprächskultur

Kunden ist es wichtig, dass Fehler am besten schon in der Apotheke auffallen und zeitnah behoben werden. Für die Praxis bedeutet das, Kontrollen in den Arbeits­alltag einzubetten und im Bedarfsfall agil zu reagieren. In der Kommunikation mit dem Kunden ist neben der Aufklärung, wie es zu dem Fehler kommen konnte, entscheidend, dass das Unternehmen auch etwas aus dem Vorfall gelernt hat.

In der apothekeninternen Kommunikation ist besonders der Umgang mit dem jeweiligen Kollegen für die Erhaltung einer guten Patientensicherheitskultur relevant.

In den meisten Fällen sind Mitarbeiter stark betroffen, wenn ihnen ein Fehler passiert. Vielleicht fällt er ihnen nicht selbst auf, aber sie haben ein Recht darauf zu erfahren, was sie falsch gemacht haben. Der Gedanke: „Ich sage ihr das nicht, sie nimmt sich das bestimmt sehr zu Herzen“, ist zwar freundlich, verhindert allerdings einen Lernprozess. Hilfreich für das gegenseitige Vertrauen ist es auch nicht. Wer nie weiß, ob er etwas richtig oder falsch macht, wird u. U. unsicher. Deswegen sind Feedbacks zu Fehlern notwendig; die Führungskraft sollte Wert darauf legen, dass diese Rückmeldung wohlwollend und nicht mit Spott behaftet ist.

Es ist wichtig, dass bei dem Auftreten von Fehlern die Führungskräfte involviert werden, auch damit Schlimmeres verhindert werden kann. Schließlich sind die Führungskräfte in der Apotheke auch gleichzeitig Fachkräfte. Und welchen Eindruck macht es, wenn ein Kunde z. B. ein falsches Medikament bekommen hat, aber „der Chef“ davon nichts weiß. Die oben geschilderte Recherche ist zwar unangenehm, aber die Führungskraft kann danach Einfluss nehmen auf die Arbeitsbedingungen. Das bedeutet ggf. auch, das Team vor einem verantwortungslosen Kollegen zu schützen.

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Fehler zu machen ist menschlich – Kintsugi, eine traditionelle japanische Reparaturmethode für zerbrochenes Keramik- oder Porzellangeschirr, macht aus der Not eine Tugend und setzt Bruchstellen in Szene. Genauso kann ein Apothekenteam offen mit Fehlern umgehen und dabei aus ihnen lernen.

Stolperstein 4: Der Interessenskonflikt

Es kann sein, dass die Patientensicherheit mit einem anderen Unternehmensziel in Konkurrenz steht. Welche Ziele eine hohe Priorität genießen, legt die Leitung fest. Wer eine gute Patientensicherheitskultur aufbauen möchte, kann seine bisherigen Prioritäten hinterfragen:

  • Welche Werte und Normen sind im Unternehmen bindend?
  • Unterstützen diese Werte und Normen eine Sicherheitskultur?
  • Wird die Wichtigkeit einer Patientensicherheitskultur von der Leitung erläutert und durch eine klare Haltung unterstrichen?
  • Sind die Arbeitsbedingungen günstig, was die technische Ausstattung und personelle Besetzung betrifft?
  • Werden Mitarbeiter gezielt weiterentwickelt und fachlich gefördert?

Die Normen und Werte der Apotheke müssen auf die sichere Versorgung der Kunden mit Arzneimitteln abgestimmt sein, jede Führungskraft und jeder Mitarbeiter sollte diese mittragen und sich dementsprechend verhalten. Es gilt, Risiken zu minimieren und Fehler zu vermeiden. Eine Verschlechterung der Arbeits­platzsituation korreliert mit der Verschlechterung der Patientensicherheit.

Aus Fehlern lernen

Vor allem in Bereichen mit Risikopotenzial sollte aus Fehlern gelernt werden. Dafür braucht es eine Kultur, in der Fehler öffentlich angesprochen werden dürfen und innerhalb des Teams besprochen werden. Das Schöne ist, es müssen nicht immer die eigenen Fehler sein, mit denen der Wissensstand erweitert wird. Dafür gibt es das Fehlerberichts- und Lernsystem CIRS (Critical Incident Reporting System, Näheres z. B. unter www.cirsmedical.de/nrw). Es stellt Fehler vor, die in anderen Unternehmen gemacht wurden. Diese können zur Besprechung und zur Sensibilisierung im Team genutzt werden. |

Anja Keck ist Fachapothekerin für Allgemeinpharmazie, Filialleiterin, Master-Coach (DGfC) und Systemische Beraterin, www.anjakeck.de

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