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Management

Balance halten im Dilemma!

Wie man in der alltäglichen Zwickmühle bestehen kann

Nur allzu oft stehen wir mit uns selbst im Konflikt: Von unpassenden gewünschten Arznei­mitteln abraten oder immer verkaufen, was machbar ist? Ein­mischen in die als fragwürdig empfundene Medikation vom Arzt oder schweigend liefern? Balanceakte dieser Art bedeuten oft genug eine Herausforderung.

Typische Situationen gibt es zuhauf. Ein diffuses Gefühl im Bauch haben viele von uns zum Beispiel beim Thema Zusatzangebote: Zu häufig unterbleiben diese, weil wir es selbst als „Aufschwatzen“ und damit als unmoralisch empfinden. Das andere Ende der Skala heißt bei diesem Verhalten: unterlassene Hilfeleistung oder unzureichende Beratung. Wo liegt die Wahrheit?

Beispiele aus der Mitarbeiterinnenführung*: Als Chefin sind Sie öfter mal in der Situation, dass zwei Kolleginnen gleichzeitig Urlaub nehmen möchten. Für wen Sie sich auch entscheiden – eine der beiden ist enttäuscht und verärgert. Ein ähnliches Dilemma besteht für Sie, wenn eine PTA ein höheres Gehalt aushandelt oder danach fragt: Sowie Sie es ihr bewilligen, sind andere, die genauso gut arbeiten, im Nachteil. Eine ständige Dauerbalance ist auch gefordert bei der richtigen Position zwischen Distanz und Nähe. Welches Führungsdilemma macht Ihnen in Ihrer Apotheke gerade zu schaffen und welche Gegenpole treffen dort aufeinander?

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Es fängt damit an, ob wir den Wecker abstellen und weiterschlafen oder aufstehen – jeden Tag treffen wir Entscheidungen. Dabei fallen uns manche schwerer als andere und manche stürzen uns in ein Dilemma und womöglich in einen nachfolgenden Gewissenskonflikt. Wie kommt man dabei gut durch den Tag?

Oder ein letztes Beispiel, mal betriebswirtschaftlich gesehen – ganz klassisch: Investieren und damit mehr Wachstumschancen auf­bauen oder sparen und bewahren?

Die Arbeit in der Apotheke ist eben nicht nur ein rationales Absolvieren verschiedener Aufgaben. Das Gefühl der Anstrengung und Erschöpfung abends beruht auch auf den vielen Entscheidungen bei Dilemmas und darauf, dass das, wogegen wir uns entschieden haben, noch an uns nagt. Leider reflektieren wir selten, was uns Unbehagen bereitet, wir nehmen uns zu wenig Zeit.

Gut auf den Punkt gebracht wird unser inneres Dilemma von der medizinischen Anthropologin Joan Halifax. Wir haben starke moralische Prinzipien. „Wenn wir jedoch etwas tun oder beobachten, was unseren Sinn für Integrität, Gerechtigkeit oder Güte verletzt, kommt es womöglich zu moralischem Leiden.“ Das greift in der Apotheke zum Beispiel bei starkem Kundenaufkommen, wenn die Balance der Zeitaufwendung für den einzelnen Kunden schwierig wird. In Momenten, in denen Menschen Zuwendung, ein mitfühlendes Gespräch und Zuhören brauchen, beenden wir schnellstmöglich unseren „Vorgang“, um uns dem nächsten Kunden widmen zu können. Auch hier ist uns häufig gar nicht bewusst, wie viel Kraft es uns kosten kann, uns dem ersten Gegenüber zu verweigern. Wie schön wäre es, innere Gelassenheit statt Zerrissenheit zu finden und sich zumindest ETWAS mehr Zeit zuzugestehen? Halifax spricht hier von der Ruhe, die sich dadurch auszeichnet, „dass man keinen Widerstand gegen das verspürt, was vor einem liegt, und dass man zugleich präsent und stabil ist.“

Der Hochschulprofessor für Human Resources Management Christian Lebrenz meint: „Hören Sie auf, ein schlechtes Gewissen zu haben, weil Sie sich von Dilemmas umringt sehen. Da Dilemmas einfach ein normaler Bestandteil von Organisationen sind, brauchen wir Dilemmas auch nicht als Zeichen des vermeintlichen Ver­sagens still und heimlich unter den Teppich zu kehren. Es ist sinnvoller, bewusst und aktiv mit Dilemmas umzugehen, als sich von ihnen treiben zu lassen oder sie zu verdrängen.“ Er betont, dass die Wahl zwischen den Alterna­tiven meist weder befriedigend noch dauerhaft ist, wir bekommen das Dilemma nicht unter Kontrolle und das löst Unbehagen und kognitive Dissonanzen aus.

Was tun?

Zuallererst hilft das Wissen, dass die allgegenwärtigen Dilemmas etwas ganz Normales sind. Sie lassen sich nicht vermeiden. Entlasten Sie sich von Schuld und schlechtem Gewissen, indem Sie sich immer wieder verdeutlichen, dass JEDE „Entscheidung für“ auch eine „Entscheidung gegen“ ist. Als Führungskraft können Sie es nur selten allen Mitarbeiterinnen recht machen. Lebrenz benennt vier Facetten:

  • Muss eine Entscheidung sein oder können wir es aussitzen?
  • Sind die Alternativen gleich­wertig oder neigt sich die Wahl schon einem Pol zu?
  • Kann ich auch beides wählen?
  • Gibt es nur zwei Optionen oder habe ich mich zu schnell fixiert und es gibt noch mehr und dabei die goldene Lösung?

Müssen wir wirklich etwas tun?

Besteht tatsächlich großer Handlungsdruck oder reden wir oder andere es uns nur ein? Wenn ja, WER muss die Entscheidung treffen? Können wir sie delegieren? Dazu gehört natürlich Vertrauen. Hat diese Person mehr Zeit oder mehr Expertise? Wer ist geeignet? Welche Erwartungen, die Sie an sich selbst stellen, sind überzogen und wo üben andere auf Sie Druck aus? Wir sind auf Handeln gepolt und daher fällt es oft sehr schwer zu entscheiden, was man NICHT tun sollte. Es gibt tatsächlich Dinge, die sich von selbst lösen. Aus dem Abwarten kann auch mal Kreativität entstehen, neue Wege tauchen auf.

Entweder – oder

Hier treffen Sie eine Polwahl oder schließen einen Kompromiss, der nicht unbedingt in der Mitte liegt. Dieser bedeutet in der Regel weder Fisch noch Fleisch und ist selten dauerhaft zufriedenstellend. Er wird von Zeit zu Zeit neu ausgelotet, nachdem man Erfahrungen mit der einen oder anderen Vor­gehensweise gemacht hat. Bei der Polwahl hingegen fallen über kurz oder lang die dazugehörenden Nachteile extrem ins Auge und man driftet zum anderen Pol, um hier die Vorteile zu ernten. Allein – auch hier gibt es Schattenseiten und so können Sie in einer Endlosschleife zwischen beiden Extremlösungen wechseln.

Sowohl als auch

Prüfen Sie, ob es sich wirklich um unvereinbare Gegensätze handelt oder ob mehrere Handlungsoptionen machbar sind. Das ist zum Beispiel bei einer zeitlichen Dimension der Fall. Mal ist das eine, zu anderer Zeit das andere optimal. Sie wählen also beide Möglichkeiten. Ein einfacher Fall, der zum Beispiel beim Einkauf von Saisonware vorliegt. Oder bei Arbeitszeiten, also Stundenzahlen, die im Sommer und Winter oder in Ferienzeiten unterschiedlich sind. Ergibt es Sinn, die Öffnungszeiten hier anzupassen?

Eine andere Dimension besteht im Räumlichen. Der unterschiedliche Ort kann Ihre Filialapotheke sein oder der Betrieb, in dem Sie vorher gearbeitet haben. Nicht überall ist das Gleiche richtig. Ein anderer Ort bedeutet eine andere Entscheidung, unter dem Strich sind also beide Lösungen gewählt.

Auch eine thematische Dimension kann beim Wählen mehrerer Optionen gleichzeitig bestehen. Geben Sie Ihren Mitarbeiterinnen viel vor oder lassen Sie sie alles alleine regeln? Die Antwort: je nach Typ. Eine möchte klare Anweisungen, die andere Freiheit und Selbstständigkeit. Auch hier verwirklichen Sie also beide Pole. Sie ergänzen sich zu einer runden Sache.

Weder – noch

Die meisten Apotheken nutzen beim OTC-Sortiment die empfohlenen Richtpreise. Ab und zu mal ein Sonderangebot, vorübergehend oder dauerhaft. Grundsätzlich besteht hier nur die Frage, die Preise zu senken oder nicht. Eine dritte, selten gedachte Option: die Preise steigern. In meiner Nachbarapotheke zum Beispiel wird das bekannteste Schmerzmittel zu einem höheren Preis verkauft als gemeinhin üblich. Der Kunde meint, es kostet überall gleich viel und achtet nicht darauf, der Kollege verkauft große Mengen und profitiert regelmäßig. Bei der Eingrenzung auf zwei Optionen handelt es sich um Schein-Dilemmas. Wir haben uns vorschnell auf nur zwei Lösungen oder Denkweisen ein­geschränkt, mit denen wir nun hadern. Es gibt jedoch noch mehr Wege, unter denen einer (oder sogar mehrere) alle Anforderungen befriedigt. Langes Abwägen wird heute als Zaudern und Fehler missverstanden, dabei bedeutet es hier: Durch Nachdenken ist das Problem bestens zu bewältigen, wir dürfen im Weitwinkel schauen, statt hastig mit Scheuklappen zu stieren.

Noch ein Feld, in dem es die Balance zu halten gilt: Häufig haben wir bei der Beratung das Dilemma einzugreifen oder nicht, wenn aus unserer Sicht etwas Ungünstiges gewünscht wird. Im Frühling sind das oft dubiose Schlankheitsmittel. Lassen Sie den Kunden probieren und hoffen auf den Placeboeffekt oder fragen Sie ihn gleich, ob er mehr darüber wissen möchte? Ähnliches gilt generell für unsere Empfehlungen bei der Selbst­medikation: Wir sind durchaus in der Lage, über „zu viel“ und „zu lange“ aufzuklären bzw. den Kunden darauf aufmerksam zu machen. Dabei setzen wir das Kundenwohl höher als den momentanen Umsatz, aber auf Dauer zahlt sich das durch die Kundentreue aus.

Nah verwandt ist das Thema Überdiagnose und Übermedikation. Manche Grenzwerte werden heute extrem eng gesetzt, sodass Menschen plötzlich an Krankheiten leiden, meist (noch) ohne Symptome. Das betont auch Professor Peter C. Gøtzsche, ehemaliger Leiter der Cochrane Collaboration. Es werden manchmal zu schnell zu viele Medikamente verordnet. Natürlich können und wollen wir uns in der Apotheke nicht in die Therapievorschriften des Arztes einmischen. Mit dem Gedanken, Schaden zu verhindern, können wir jedoch den Hausarzt darauf aufmerksam machen, wenn die Medikation vom Facharzt nicht zu seiner passt und umgekehrt.

Literaturtipps

Christian Lebrenz

Das Dilemma mit den Dilemmas – Warum Zwickmühlen das Leben in Organisationen bestimmen und wie wir besser mit ihnen umgehen können.

Walhalla Verlag 2018

ISBN: 978-3-96186-026-5



Joan Halifax

Gratwanderung – Achtsame Ethik für ein nachhaltig bewusstes Leben.

O.W.Barth Verlag, 2018

ISBN: 978-3-426-29292-1





Professor Peter C. Gøtzsche

Gute Medizin – Schlechte Medizin. Wie Sie sinnvolle Therapien von unnötigen und schädlichen unterscheiden lernen.

Riva Verlag 2018

ISBN: 978-3-742-30440-7



Zu beziehen über: 
Deutscher Apotheker Verlag, Birkenwaldstraße 44, 70191 Stuttgart
Telefon 0711 2582-341, Telefax 0711 2582-290
E-Mail: service@deutscher-apotheker-verlag.de

Ein Wundermittel für Dilemmas gibt es nicht, manche lassen sich gar nicht lösen. Wir können jedoch mehr oder weniger gut mit ihnen umgehen. Mit der Bewusstwerdung des Dilemmas und seiner Bearbeitung ist schon viel gewonnen im Gegensatz zu einer automatischen Reaktion und dem diffusen inneren Gefühl von Dysbalance. Machen Sie das Ganze zum Teamthema, um viele Meinungen zu hören und sich damit auseinanderzusetzen.

„Gib Dein Bestes, bis Du es besser weißt“ – damit machen uns die beiden Psychologen Doris Wolf und Rolf Merkle (im Lebensfreude-Tischkalender 2020) darauf aufmerksam, dass wir uns selbst oft zu Unrecht beschuldigen und entsprechend wütend oder betrübt sind. Wir handeln zu einem bestimmten Zeitpunkt immer nach dem, was wir genau jetzt für richtig halten. Das ist alles, was wir geben können. Später sind wir vielleicht irgendwann schlauer und geben dann ein anderes Bestes. |

Ute Jürgens ist Kommunikationstrainerin mit Spezialisierung auf die Heilberufler, Dipl. Erwachsenenpädagogin und PTA, www.kommed-coaching.de

* Da die überwiegende Anzahl der Apothekenmitarbeiter weiblich ist, schreibe ich in der weiblichen Form. Männliche Kollegen dürfen sich gerne mit angesprochen fühlen.

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